Read Zodiac Online

Authors: Robert Graysmith

Tags: #True Crime, #Murder, #Serial Killers

Zodiac (3 page)

BOOK: Zodiac
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Gerichtsmediziner Horan zog sich in aller Eile an. Um Mitternacht traf er zusammen mit Dr. Byron Sanford aus Benicia am Tatort ein, wo bereits reger Betrieb herrschte. Horan hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, im Falle einer derartigen Tragödie die unangenehme Aufgabe zu übernehmen, die Angehörigen der Opfer persönlich anzurufen. (Die psychische Belastung dieser schweren Pflicht trug ihm übrigens später ein Herzleiden ein, das ihn schließlich zwang, sich aus dem Dienst zurückzuziehen.) Dr. Sanford konnte nur noch den Tod von Betty Lou feststellen und gab die Anweisung, die Leiche zur Obduktion abzutransportieren. Zunächst wurden jedoch noch Fotos aus allen möglichen Blickwinkeln angefertigt.

Kurz zuvor war bereits ein Reporter namens Thomas D. Balmer vom
Fairfield Daily Republic
eingetroffen, der jedoch nicht zum Tatort vorgelassen wurde, bis schließlich fünf Minuten nach Mitternacht der Ermittlungsbeamte eintraf.

Detective Sergeant Les Lundblad hatte durchschnittlich mit zwei bis drei Mordfällen im Jahr zu tun. Nun stand er nachdenklich in der Dunkelheit und Kälte der Lake Herman Road, den Hut mit der schmalen Krempe tief in das wettergegerbte Gesicht gezogen. Seit seinem Dienstantritt im Sheriff Office im Jahr 1963 hatte ihn kaum einmal jemand ohne seinen Hut gesehen.

Lundblad fertigte im Licht seiner Taschenlampe eine Skizze vom Tatort an, während die Fotografen und die Kollegen von der Spurensicherung, die für das Erfassen von Fingerabdrücken zuständig waren, unter den Scheinwerfern ihrer Arbeit nachgingen. Die nächtliche Stille wurde immer wieder vom Rauschen der Funkgeräte aus den Polizeiwagen durchbrochen, die sich zu beiden Seiten der Straße angesammelt hatten.

Lundblad schickte seine Männer, die Officers Butterbach und Waterman, zum Krankenhaus, um eine Aussage von David zu bekommen. Dreiundzwanzig Minuten nach Mitternacht Uhr trafen die Polizisten in der Intensivstation ein, wo ihnen Schwester Barbara Lowe mitteilte, dass der junge Mann bei der Ankunft im Krankenhaus bereits tot gewesen sei. Der Tod war demnach schon fünf Minuten nach Mitternacht eingetreten.

Die beiden Officers riefen im Sheriff-Büro an und ließen Deputy J. R. Wilson ins Krankenhaus kommen, der die Schmauchspuren um die Wunde hinter dem Ohr des Jungen ebenso fotografierte wie die Schwellung an seiner rechten Wange und das blutverschmierte Haar.

Draußen an der Lake Herman Road wurde unterdessen der Kombi auf Fingerabdrücke untersucht. Dann begannen die Polizisten die Umgebung nach der Tatwaffe und eventuellen weiteren Hinweisen abzusuchen. Die Polizeibeamten aus Benicia führten verschiedene Messungen durch, deren Ergebnisse sich Lundblad notierte.

Das Beweismaterial, das die Polizisten aus Benicia gesammelt hatten, würde zusammen mit den Fotos an das Sheriff-Büro von Solano County übergeben werden. Pitta und Warner hatten dafür gesorgt, dass am Tatort nichts verändert wurde, bevor nicht jedes Detail fotografisch festgehalten und exakt untersucht und vermessen war. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass die Beweismittel später unverändert dem Gericht vorgelegt werden konnten. Man musste jedoch auch das mögliche Vorhandensein von kaum wahrnehmbaren Hinweisen einkalkulieren - und so machte man sich auch auf die Suche nach Spermaspuren.

Schließlich wurden noch neun weitere leere Patronenhülsen gefunden. Bei der Tatwaffe schien es sich mit gro ßer Wahrscheinlichkeit um eine JC Higgins Model 80 oder eine Hi Standard Model 101 vom Kaliber 22 zu handeln. Der Mörder hatte Super X-Patronen verwendet, die erst seit Oktober 1967 von der Foirma Winchester hergestellt wurden - also eine ziemlich neue Munition.

Auf dem Dach des Kombis fand man Spuren eines Querschlägers, und vor dem Wagen wurden schwach sichtbare Fußabdrücke entdeckt, die zur Beifahrerseite führten. Außerdem fand man einen tiefen Abdruck eines Absatzes hinter dem Pumpwerk.

Einer der Sanitäter meinte, dass er noch nie so viel Blut auf oder neben einer Straße gesehen habe. »Es war ein ganz besonders schrecklicher Doppelmord,« stimmte Lundblad zu.

Um 1.04 Uhr fuhr Lundblad ins Krankenhaus von Vallejo und danach ins Leichenhaus, wo er mit Butterbach und Waterman zusammentraf und mit Horan über die Positionen der Kugeln in Betty Lou Jensens Körper sprach.

Lundblad stand etwas abseits, als das tote Mädchen im grellen Licht der Lampen entkleidet wurde. Plötzlich fiel etwas aus ihrem rosa-weißen Slip auf den Boden und rollte dem Detective direkt vor die Füße. Lundblad bückte sich und hob den kleinen Gegenstand auf. Es war eine Kugel vom Kaliber 22, die sich in ihrer Kleidung verfangen hatte. Mit grimmiger Miene gab Lundblad das Projektil in ein Tablettenfläschchen, sammelte die blutbefleckten Kleider ein und machte sich auf den Weg in sein Büro. Butterbach und Waterman arbeiteten noch bis 4.30 Uhr, ehe sie endlich nach Hause gingen.

Gegen Mittag des folgenden Tages wurde die Autopsie an Betty Lou vorgenommen. Eineinhalb Stunden nach Betty Lou wurde auch David obduziert, und um 1.38 Uhr fand der Pathologe Dr. S. Shirai die Kugel, die den jungen Mann getötet hatte. Das Projektil steckte zusammengedrückt an der rechten Seite des Schädels.

Insgesamt konnten aus dem Auto und aus den Körpern der Opfer sieben Kugeln sichergestellt werden - vier davon in gutem Zustand, der Rest stark beschädigt. Zwei Projektile konnten nie gefunden werden - sie blieben irgendwo im Feld an der Lake Herman Road verborgen. Jede der sichergestellten Kugeln wies eine Markierung aus sechs Feldern und sechs Zügen auf.

Bei der Herstellung einer Schusswaffe wird der Lauf innen mit mehreren Einschnitten versehen, die spiralförmig gewunden verlaufen und die das Geschoss zum Rotieren bringen. Das Muster dieser gewundenen Einschnitte, auch Züge genannt, sowie der dazwischen liegenden Erhöhungen, der so genannten Felder, schneidet sich in die abgefeuerte Kugel ein. Die Waffe hinterlässt auf dem Projektil somit ihre charakteristische »Handschrift«, an der sie gegebenenfalls identifiziert werden kann. Auch die Patronenhülse wird durch den Auswerfermechanismus mit einer bestimmten Prägung versehen, sodass sich unter dem Mikroskop feststellen lässt, ob eine Hülse von einer bestimmten Waffe abgefeuert wurde oder nicht.

»Die Ermittlungen müssen so verlaufen wie die Äste eines Baumes,« meinte Lundblad. Die Spuren, die es systematisch zu verfolgen galt, würden wie Äste vom Baum der Fakten ausgehen. Der Detective begann damit, dass er die Strecken zwischen den Wohnungen von Verdächtigen und Zeugen und dem Tatort mit unterschiedlicher Geschwindigkeit abfuhr, um zu ermitteln, wie schnell die jeweiligen Entfernungen zurückgelegt werden konnten. Außerdem wurde der letzte Tag der beiden Opfer peinlich genau rekonstruiert; dazu wurden nicht weniger als vierunddreißig detaillierte Aussagen aufgenommen. Lundblad arbeitete praktisch rund um die Uhr, um das gesamte Privatleben der beiden Opfer unter die Lupe zu nehmen. Die Angehörigen und Freunde von Betty Lou und David wurden ebenso vernommen wie die üblichen Verdächtigen, die bei jeder Straftat überprüft wurden. Laut der Nervenklinik in Napa gab es in der Gegend 290 Personen mit entsprechenden Geisteskrankheiten.

Gerichtsmediziner Horan erfuhr von Betty Lous Angehörigen, dass es in der Schule einen Jungen gab, der sie immer wieder belästigt hatte, weil er sich in sie verknallt hätte, und der angeblich sogar David bedroht hatte (»Ich werd dir mal eine Abreibung mit dem Schlagring verpassen.«). Sie vermuteten, dass es dieser Junge gewesen sein könnte, der sich am Abend der Tat in der Nähe ihres Hauses herumgetrieben hatte. Horan gab diese Information an Lundblad weiter, der jedoch feststellte, dass der Verdächtige ein hieb- und stichfestes Alibi besaß. Nach der Geburtstagsparty seiner Schwester hatte der Junge noch ferngesehen - und zwar in Gesellschaft eines Polizisten aus Mare Island.

Der Detective griff außerdem Hinweise von möglichen Zeugen auf, von denen manche einen dunklen Wagen in der Nähe des Tatorts gesehen haben wollten. Was jedoch völlig fehlte, war ein Motiv für die brutalen Morde - wenn man einmal von der schieren Lust am Töten absah. Lundblad fand keine Anzeichen auf einen Raubüberfall oder auf sexuellen Missbrauch der Opfer. Möglicherweise verschaffte sich der Täter mit dem Akt des Tötens so etwas wie sexuelle Befriedigung.

Die Nachrichten vom Bureau of Criminal Identification and Investigation (CI&I) in Sacramento waren auch nicht eben viel versprechend:

 

Neben weiteren Überprüfungen von Pistolen des Typs JC Higgins Model 80 sollten auch Waffen mit folgenden Eigenschaften in Betracht gezogen werden:
a. Patronenhülsen: halbkreisförmiger Abdruck des Schlagbolzens an der 12-Uhr-Position, kleine Markierungen des Ausziehers an der 3-Uhr-Position. Sehr schwache Spuren des Ausstoßers an der 8-Uhr-Position (Letztere ist jedoch nicht immer feststellbar).
b. Lauf der Waffe und Kugeln: Sechs Züge mit Rechtsdrall, Felder und Züge im Verhältnis 1:1. Breite der Züge an den Projektilen etwa 1,4 mm. Breite der Felder an den Kugeln rund 1,5 mm.

 

Da die Tatwaffe keine besonderen Kennzeichen aufweist, wird sie sehr schwer zu bestimmen sein … Nach unseren Untersuchungen dürfte es selbst dann, wenn die Tatwaffe tatsächlich gefunden werden sollte, schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden, sie eindeutig zu identifizieren.
Bei der Untersuchung der Kleider (Stück Nr. 9) wurde ein Loch vorne in der Mitte und fünf Löcher oben rechts im Rücken gefunden. Es wurden keinerlei Pulverspuren an den Löchern gefunden - mit Ausnahme des obersten Lochs am Rücken; dort konnte ein Pulverkörnchen festgestellt werden. Diese Fakten legen die Annahme nahe, dass die Kugeln aus einer Entfernung von mindestens ein bis zwei Metern abgefeuert wurden. Die tatsächliche Mindestentfernung könnte nur anhand von konkreten Tests mit der Tatwaffe ermittelt werden.

Es gab keine Zeugen, kein Motiv und keine Verdächtigen.

 

2

 

Darlene Ferrin

 

 

Samstag, 21. Dezember 1968

 

»Das ist echt gruselig! Ich habe die beiden gekannt, die in der Lake Herman Road umgebracht wurden«, teilte Darlene Ferrin ihrer Kollegin Bobbie Ramos mit.

»Echt?«, fragte Bobbie.

»Ja - also ich geh da ganz bestimmt nicht wieder hin«, murmelte Darlene erschaudernd.

»Ich habe mich an der Theke mit ihr unterhalten«, erzählte mir Bobbie später. »Ich kann mich noch gut daran erinnern. ›Weißt du‹, hat sie zu mir gesagt, ›das ist schon ein grausiges Gefühl.‹ Sie kannte die beiden von der Hogan High School - vor allem das Mädchen, glaube ich.‹

Die Hogan High School lag nur etwas mehr als einen Block von dem Haus entfernt, in dem Betty Lou Jensen gewohnt hatte. Darlene hatte diese Highschool ebenfalls besucht.

Jeden Freitag, Samstag und Sonntag arbeitete Bobbie Ramos zusammen mit Darlene bis drei Uhr nachts in Terry’s Restaurant in der Magazine Street in Vallejo.

»Darlene hat sich einfach mit jedem unterhalten«, erinnerte sich Bobbie später. »Ich hab ihr noch gesagt: ›Rede doch nicht mit allen - nicht jeder ist dein Freund. Du schätzt die Leute falsch ein.‹ Sie war zu allen so freundlich - die Leute standen Schlange, um einen Tisch zu bekommen, wo sie bediente. Darlene war zweiundzwanzig, aber sie sah höchstens wie siebzehn aus - und sie benahm sich auch so. Wie ein Püppchen sah sie aus mit ihren kurzen blonden Haaren - einfach süß.«

Darlene war einen Meter fünfundsechzig groß und 59 Kilo schwer. Sie hatte dunkelblondes Haar und durchdringende blaue Augen. Auf Fotos, auf denen sie mit sechzehn zu sehen war, zeigte sie eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Betty Lou Jensen.

»Wenn sie ihre Brille nicht aufhatte, trug sie falsche Wimpern. Sie hat uns auch oft welche geschenkt,« erzählte Bobbie. »Darlene war immer fröhlich und gut gelaunt. Und sehr gesprächig (…) Sie hat immer gern neue Leute kennen gelernt.«

Darlene lebte mit ihrem zweiten Mann Dean und ihrem kleinen Töchterchen Dena in der Wallace Street in einem Haus, das Bill und Carmela Leigh gehörte, Deans Chefs in einem italienischen Restaurant namens Caesar’s Palace, wo er als Hilfskoch arbeitete.

 

Mittwoch, 26. Februar 1969

 

Karen, Darlenes siebzehnjährige Babysitterin, trat ans Fenster und blickte auf die Wallace Street hinunter. Der Wagen stand schon seit 22 Uhr da, und sie war sich sicher, dass der Mann am Lenkrad die Wohnung der Ferrins im Erdgeschoss beobachtete.

Es war so eine weiße Limousine amerikanischer Bauart, aber draußen war es so dunkel, dass sie das Autokennzeichen nicht genau sehen konnte, obwohl der Wagen nur wenige Meter entfernt stand.

Sie sah im Wagen ein Streichholz aufflackern. Der Mann zündete sich eine Zigarette an, sodass Karen ihn zumindest teilweise erkennen konnte. Er war stämmig gebaut, hatte ein rundes Gesicht und dunkelbraunes gewelltes Haar. Der Mann schien um die vierzig zu sein.

Karen war so beunruhigt, dass sie zu der kleinen Dena ins Zimmer ging und beim Gitterbett blieb, bis Dean von der Arbeit nach Hause kam. Karen trat ans Fenster und überlegte, ob sie Dean von dem Fremden erzählen sollte, doch sie ließ es sein, als sie sah, dass der weiße Wagen fort war.

 

Donnerstag, 27. Februar 1969

 

Darlene schminkte sich gerade im Badezimmer, als Karen ihr von dem Fremden erzählte.

»Wie hat der Wagen ausgesehen?«, fragte Darlene.

Karen beschrieb ihr das Auto.

»Ich schätze, er will mal wieder nachsehen, was ich so mache. Hab schon gehört, dass er wieder im Lande ist«, sagte Darlene und hielt nachdenklich inne. »Er will nicht, dass irgendjemand erfährt, dass ich ihn bei etwas beobachtet habe«, fügte sie hinzu. »Ich habe nämlich gesehen, wie er jemanden umgebracht hat.«

Darlene erwähnte seinen Namen - einen kurzen, recht häufig vorkommenden Namen. Aber Karen hörte gar nicht mehr richtig zu - sie war zu schockiert von der Tatsache, dass Darlene offensichtlich Angst vor diesem Fremden hatte.

Als Darlene an diesem Abend in Terry’s Restaurant kam, erfuhr sie, dass ein stämmiger Mann sich nach ihr erkundigt hatte.

 

Samstag, 15. März 1969

 

Pam Suennen, Darlenes jüngere Schwester, hatte schon früher zwei Pakete vor der Haustür der Ferrins gefunden, doch sie wusste nicht, wer sie dort hingelegt hatte. An diesem Tag öffnete sie die Tür jedoch rechtzeitig, um zu beobachten, wie ein Mann mit Hornbrille ein weiteres Paket hinterlegte. Sie hatte den Mann schon einmal in einem weißen Wagen vor dem Haus parken sehen.

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