Ashes for Breakfast (17 page)

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Authors: Durs Grünbein

BOOK: Ashes for Breakfast
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Dem die Stadt gehorchte? Plätze schrumpften auf ihr Spielzeugmaß,

Stieg man aus der Erde.
Ein
›Hatschi!‹ riß ganze Wohnblocks nieder.

Eben war da noch ein Brachfeld, Sand und etwas abgebrannte Wiese,

Die im Stadtplan fehlten. Daß dort Goyas Koloß saß,

Wartend auf die Wiederkehr der Steppe, glaubt dir keiner mehr.

Einmal eingenickt, und alles hinterrücks war parallel versetzt.

Aus dem preußisch blauen Nachmittag in vier Sektoren, zwei Versionen,

War die Stunde grauen Dunsts geworden, wenn im Kreisverkehr

Hinz und Kunz sich überholen. Zappelnd hängt im Straßennetz

Bald die Hälfte der Bevölkerung. Ihr Motto
›Schneller Wohnen!‹

Zeigt den Alten, wo es langgeht. Bis auf Grazie, gibts hier vielzuvieles,

Das den Eilschritt nahelegt, den Tunnelblick. Genügt nicht ein Magnet,

Zum Türeöffnen, seit Apartments als Zementbrei aus den Mischern quellen?

Einestags entdeckt man, hoch an Glasfassaden festgeschraubt, Reptile,

Die neutralen Augs den Kehraus überwachen. — Daß ihm nichts entgeht.

Nur Gewohnheit, dieser Arbeitslose, kehrt zurück an taube Stellen.

BERLIN ROUNDS

For Christian Döring

I
TAUENTZIENSTRASSE)

Here no more little songs go skipping down the street,

And the breeze, blowing by, cuts itself on the edges

Of glass and steel emporia, four stories high and stuffed with goods.

Those who live here do so hurriedly and at their peril.

At night, street-sweeping machines produce the requisite sheerness of surface.

Above the sheen of ice-skating rinks, neon signs spread—

Rumorlike—the names the phone book is crawling with.

The last bourgeois dramas pop up in the mid-season sales.

There's a church here, somewhat reminiscent of a bunker,

Since its snapped-off tower,
a broken bottleneck
, has been plugged

With the same stuff as provides the echoes in multistory parking garages.

If a smile emerges from the subway, it will encounter something Mannerist.

If there are teeth in the asphalt, they will be those of dispatch riders

Taking a tumble, or window cleaners plunged from their scaffolding.

The green traffic island serves as a trampoline. In the rush-hour traffic,

Some spy fortune's wheel, while others merely cop a fine.

However much junk you cram in your pockets to take with you

When you go, enough will still remain in situ for the young lady archaeologist,

Kneeling in the ruins of fabled cities, in her hand a camel-hair brush—

Distant, degenerate descendant of the mason's trowel.

 

II
ANHALTER BAHNHOF)

This is where the tanks about-faced

And papyrossa or peace-pipe smoke fumed from their stumpy turrets.

No longer end of the line for any Reichsbahn train,

The Mongol hordes
here hit the buffer.

Hellas-Express. The departure of the rich and beautiful,

Cushioned in their private compartments, for the warm south.

A Russian stood as point man,

Collecting watches, jewelry, the victor's tithe.

The rail crossings were marked in Cyrillic. Charred roof beams

Pointed the way through avenues of ruins.

To smirk at the red star would have been

The gravest sacrilege. They let it go, the idea

Of razing Berlin, that nest of vipers, like Carthage,

Leaving the shadow of a metropolis in the Brandenburg sand.

Then goulash steamed and Cossacks danced,

Even if old mother Krause had nothing to laugh about.

 

III
FRIEDRICHSHAIN)

No, that was no welcome—

Look at the bullet holes in home after home.

Those were volleys, not salvos,

Back then in Friedrichshain.

There wasn't much fraternization.

Anyone in a machine-gun emplacement fired for what he was worth.

Maybe the dogs and haws in the park

Picked up a trick or two.

The white flags were taken down by a cold winter.

Sheets and bandages were needed.

That pleas went unheeded in the cellars

Is something you can sense, in Friedrichshain.

 

IV
POTSDAMER PLATZ)

They're churning up the ground for the capital city
in spe.

Earthmovers go in in advance of the nocturnal desolation.

Germania in her bunker, stretched out on her Prussian chaise longue,

Is disturbed in her sleep, and rolls over in the dirt.

It takes
Downtown Berlin
to help the diva loosen up.

Then, panting for it, the great Valkyrie spreads her thighs.

The brain, in its lucid moments of bitterness,

Sniffs something that cries out for destruction.

 

V
EPILOGUE)

What's going on here, you ask, nothing looks familiar

As you hunch under cranes. Didn't you use to be a giant

And have the place at your feet? Squares shrank to Lilliputian scale

When you surfaced. One “Atchoo!” brought down whole apartment blocks.

This used to be waste ground, sand, and a bit of scorched grass,

Not marked on the map. Now no one believes you when you say

Goya's colossus
used to sit here, waiting for it to revert to steppe.

You dropped your guard, and everything was suddenly knocked down.

The Prussian blue afternoon—four sectors, two versions—

Has turned into an hour of gray exhaust, as Tom, Dick, and Harry

Crawl past each other in the rush. Half the population

Is stuck in traffic, their watchword: “Faster living!”

Show the ancients the score. Not too much sign of the Graces

But lockstep and tunnel vision aplenty. Who needs a key for the door,

The way prefab apartments squelch out of cement mixers?

One day your eye lights on reptiles battened to the glass façades—

Unblinking, impassive—supervising the evictions.

It's only habit, downsized, that keeps returning to its dead haunts.

GRÜßE AUS DER HAUPTSTADT DES VERGESSENS

Täglich weht ein leichter Wind hier durchs Gedächtnis.

         Schleift die Eigenschaften ab, hält das Gewissen rein.

Unbeschwert geht man, gebräunt, durchs Leben. Den Besucher

         Lädt das Lächeln weißer Zähne nicht zum Essen ein,

Nein, zum Vergessen. Und den Strand am Ufer der Phäaken

         Säumen Palmen, grüne Säulenreihn. In hellen Villen

Wohnen Leinwand-Engel, diese Ewigschönen, Immerjungen.

         Jeder Friedhof duftet, im WC die Seife, nach Vanille.

*

Freunde, es ist Winter hier, sprich zwanzig Grad im Schatten.

         Fönwind aus den Bergen zaust die Trockenhaube,

Die der Stadt schief aufgestülpt ist als ein gelber Dunst.

         Manchmal sieht man bis in fernste Fernen, was den Glauben

An ein Jenseits abkürzt. Ist das Himmelreich erst irdisch,

         Kann sich jeder schnell in Luft auflösen. Flüchtig

Streift man durch die eine Jahreszeit in vier Quartalen.

         Schon ein Blick zum Horizont macht regenbogensüchtig.

Spätestens im Januar merkt auch der Letzte, farbenblind,

         Daß die Bäume immergrün sind hier in Eden. Dreh dich um:

Zeig dich von der besten Seite zwischen all den heißen Rosten.

         Du entgehst ihm nicht, dem Leben im Solarium.

*

Nicht beurlaubt bin ich, nicht verbannt ans andre Ufer.

         Was mich herzog, war ein Mythos (einer von den neuen).

Weil hier vieles möglich ist und kaum was wirklich,

         Muß man weniger als in der Alten Welt bereuen.

Freunde macht man hier in fünf Minuten, und kaum länger

         Dauert auch die Gründung einer Bank — sowie ihr Sturz.

Wenn die Erde bebt und ganze Straßenzüge wackeln,

         Scheint das Leben, wie vom Ende her gesehn, sehr kurz.

Schlafen kannst du, wenn es erst vorbei ist. Bis dahin

         Hält dich Ungewißheit wach, der Motor unterm Herzen.

Jährlich Wirbelsturm und Waldbrand hinterm Haus, — da ist

         Beim Friseur die Schießerei noch einer von den Scherzen.

*

Selbst der Sternenhimmel ist hier anders. Zu den neuen Bildern,

         Funkelnd zwischen Leier, Schwan und Schütze,

Zählt ein Cabrio in voller Fahrt, verfolgt von einem Saurier.

         Über dem
Revolver
kreist, verkehrtherum, die
Mütze.

Auf den Hügeln strecken Weltraumteleskope ihre Segelohren

         Ufo und Komet entgegen. Eher hier als anderswo

Bäckt man für Besucher aus dem All Begrüßungskuchen.

         Kinos sind hier Planetarien, und in manchem Bungalow

Steckt ein Flugleitzentrum für die ersten Raumpatrouillen.

         Suchscheinwerfer kreuzen ihre Strahlen nachts zu Chiffren.

Schon vom Flugzeug aus scheint diese Stadt ein Text zu sein,

         Den nur Leute mit Facettenaugen einst entziffern.

Nicht zum Baden laden diese Strände, wüste Landebahnen.

         Beim Spazieren schrickt man auf, wenn da ein Telephon

An der Uferpromenade läutet. Weit und breit kein Mensch …

         Durch die Palmenreihen streicht vom Mars ein Celloton.

*

Sechs Sekunden dauert sie genau, die Jetztzeit,

         Zwischen dem, was kommt und dem, was fortan war,

Sagen Ärzte, und es gilt der Hirntest. — Nicht so hier.

         Eher gehn durchs Nadelöhr Kamel
und
Dromedar,

Als daß einer hier zurückblickt, trauernd um sein Gestern.

         ›Chronos?‹ rätseln sie. ›Was ist das? Ein Hormon?‹

›Eine dieser Pillen? Ein verbotner Pornofilm? Ein Cocktail?‹

         In Arkadien weiß man nichts von Noch und Schon.

Und es grenzt an Perversion, wenn jemand sich erinnert

         An den ersten Kuß, erfahrungslos, die Nacht, und dann …

Immer ist es Gegenwart, in der die Glückserfinder blinzeln,

         Gut versichert, weil nie enden kann, was nie begann.

*

Kinofilme sind hier, was woanders Erdöl ist und Silikon.

         Aus dem reinen Rohstoff, Zelluloid, wird in den Studios,

Dank des Restlichts aus dem Paradies, was einst ein Atheist,

         Vater der Kommune,
Opium des Volkes
nannte, Religion.

Ja, die Filme sind
der
Clou. Aus scheuen Leutchen zaubern sie

         Im dunklen Saal Unsterbliche, die als Bekannte

Jeden Traum bevölkern. Enkel, hochbegabt, zerstreute Onkel,

         Töchter, schlank wie Modepuppen, scharfe Tanten.

Halbgenie und Schönheitskönigin, von hier bis Ephesos

         Kennt man ihre Seitensprünge, Hobbies und die Namen

Von Haustier, Stammlokal und Therapeut, den vollen Speiseplan.

         Auch wer nichts von Delphi weiß, schätzt diese Ehedramen.

Im Geschäft Erfolg zu haben, macht bald frech wie Oscar.

         Ein Skandal poliert den Ruf. Die höchsten Gagen

Bringt der Druck aufs Zwerchfell und die Tränendrüsen.

         Alles ist hier Augentäuschung und Gemütsmassage.

*

Gott, sie machen einen schwach hier, die Korrekten!

         So moralisch kerngesund, daß man vergißt zu schlucken.

Sprüche haben die parat — entwaffnend. Am Buffett,

         Erklärt ein Vegetarier neben dir, aufs Tischtuch spuckend,

Sein Nein zum Fleisch, daß einem Bluthund Tränen kommen.

         Freundlich angefragt, ob man ihm außer Butter

Andre Leckerbissen bieten dürfe, sagt er streng, den Putenbraten

         Verachtend: ›Alles, aber nichts aus einer Mutter …‹.

*

Nachts ein Studio. Panoramafenster. Auf der Stelle tretend,

         Sieht man, in den Ohren Stöpsel, Frauen an Metallgeräten,

Die wie Folterwerkzeug aussehn, Streckbank und Garrotte.

         
Fitness
ist das Zauberwort. Zum eignen Körper beten,

Gilt als Prüfung, die man absolviert nach Plan, voll Inbrunst.

         Jeder ist sein eigner Inquisitor. Herz und Lungen

Werden streng bewacht, daß sie dem Muskelaufbau dienen.

         Was das Hirn macht? Dämmern, sagen böse Zungen.

Ist es, weil hier eine ganze Himmelsrichtung abbricht,

         Daß sie stoisch in Bewegung bleiben auf dem letzten Pier?

Vor sich, was zu keinem Aufbruch mehr verlockt, das Meer.

         Sind sie besser durchtrainiert in Langeweile hier?

*

Froh zu sei, bedarf es hier des Zahnarzts. ›Welch ein Lächeln …‹.

         Denn sein Glück zu machen ist die erste Bürgerpflicht.

Wer es hat, ist kaum zu bremsen. Den Verlierer hält

         Nichts so sehr bei Laune wie der Glanz der Oberschicht.

Selbstmord gilt als strafbar, ein Delikt. Wer von den Nachbarn

         Angezeigt wird beim Versuch, sich fortzustehlen,

Hat kaum Zeit, bevor ein Ordnungshüter mit gezieltem Schuß

         Ihm zuvorkommt. Alles darf man, nur den Tod nicht, wählen.

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