Ashes for Breakfast (20 page)

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Authors: Durs Grünbein

BOOK: Ashes for Breakfast
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Vom Laufenlernen … sind jetzt allerorts

Evakuiert.

 

II

Dresden ist lange her,

Ein Festsaal gestern, vor der neuen Blöße

Unglaublich, ein Gerücht von Größe,

Ein Nachruf im Bericht des deutschen Heers.

Taghell für eine Nacht,

Ist das dieselbe Stadt im Tal, dieselbe

(Im Anflug ein Las Vegas an der Elbe)

Wie der Pilot sie sah in Phosphorpracht?

Längst war sie todgeweiht,

Bewohnt noch, schon vergessen von den letzten

Flüchtigen Mietern, die Erynnien hetzten

Aus der urbanen in die Aschenzeit.

 

III

Denn das Wort kommt zu spät, das sie ruft,

Die am Stadtrand begrabene Stadt.

Wo ein Müllberg sich breit macht, der lokale Vesuv

Schwarzen Rauch ausstößt überm Kiefernwald, hat

Längst die Erde ihn wieder, den Namen, und nichts

Unterscheidet das Nest noch von anderen Nestern,

Die auf Asche gebaut sind, auf soliden Verzicht.

Unter Schuttbergen sinkt, unter Null, alles Gestern

Aus Terrassen und Kuppeln, barocker Bau.

Wie ein Uhrglas von innen beschlägt und wird matt,

Liegt verregnet im Tal unter grauem Tau

Zwischen Himmel und Grundriß der Rest von Stadt.

Und lebt weiter im Flüstern, in Gerüchten aus Stein,

Die vom Fürstenzug handeln. Italienische Luft

Heißt hier
Smog um Pompeji
oder
Nördlichster Wein.

Doch das Wort kommt zu spät, das sie ruft.

 

IV

Täglich vom Starren auf den Fluß (nach Jahren)

Tränten die Augen uns. Willkommen, Elbe.

In dieser trägen, gelblich braunen Brühe

Ist meine Mutter noch als Kind geschwommen.

Da lag kein Ölglanz auf dem Haar. Dasselbe

Gemeine Licht brach durch die Nachkriegsfrühe.

Das Stadtbild hatte etwas abgenommen,

Am Ufer hockten Angler noch in Scharen,

Und durch das Elbtal ging kaum Schiffsverkehr.

Ein Fluß, was ist das, wenn die Stadt versinkt

Vor seinen Wellen, die den Großbrand spiegeln.

Ein trüber Himmel, der mit toten Fischen blinkt,

Ein Notausgang, die Tür mit sieben Siegeln, —

Reklame für das nächste offne Meer?

 

V

Und nachts die stille deutsche Stadt,

In die man einfuhr mit dem Zug vom Norden,

Setzte mit jeder Straßenlampe neue Fragezeichen

Und hinter jeden Satz den Punkt, — mit wieviel Watt?

›Was ist aus Xanadu nach Kublai Khan geworden?‹

›Wer sind die Leute, die dort mausgrau schleichen?‹

Islamabad im Elbtal … Eine Phantasie-Moschee

Erhob sich dort und rief die Hörigen zum Fasten,

Vom Schlachthoftürmchen bis zum Großen Garten.

Doch schon am Bahnhof hörte man das erste
›Nee.‹

Und sah Giraffenhälse, lange Flutlichtmasten,

Die leicht geneigt sich um ein Fußballstadion scharten.

Das Blaue Wunder hieß flußaufwärts eine Brücke,

Die einem nichts erklärte. Immerhin, sie stand

Gußeisern, nützlich in der Nachkriegsdschungelstadt.

An den entblößten Ufern, braun in Einzelstücken,

Stieß man auf wuchtigen Barock. Wer wollte, fand

Im kalten Mondlicht hier sein Angkor Vat.

 

VI

Meiner Großmutter Dora W.

Und als der erste Angriff kam, sie lag

Im Krankenhaus mit Scharlach. Der Alarm

Riß viele aus dem Schlaf. Vom Glutwind warm

War draußen Winter, und die Nacht war Tag.

Gespenster, die im weißen Nachthemd spuken,

Rannten sie barfuß an die Elbewiesen.

… — Panik, ein Luftstrom aus den Feuerluken,

Bevor aus allen Wolken die Posaunen bliesen.

Und als der zweite Angriff kam, verschwand

Die Stadt im Stummfilm, und kein Schatten fiel

Als sie verbrannte durch die Flammenwand,

Den einen Falle und den andern Ziel.

Aus einer Nacht im Zwanzigsten Jahrhundert

Flogen Maschinen eine zweite Steinzeit an.

In manchem Kellergrab, ein Höhlenwunder,

Fand man verbacken Kind und Frau und Mann.

Und als der dritte Angriff kam, sie ging

Gefaßt im Flüchtlingszug, auf schwachen Beinen

In eine Nachwelt ein. Da war kein Weinen,

Das auf den Trümmern noch verfing.

 

VII

Ach, Hiroshima war nur zweite Wahl.

Premiere haben sollte sie (sagt man) in Dresden,

Die Bombe, die heut jedes Schulkind malt —

Der Riesenpilz, die weltberühmte Abschiedsgeste

Der alten Opernhimmel. Wieviel schöner

Wäre der strahlende Bovist hier aufgeblüht

Über der sandsteinhellen Residenz als Krönung

Barocker Baukunst. Aufs Gemüt

Schlägt die Vision, wie stilvoll
hier
die legendäre

Finale Wolke aufgegangen wäre.

 

VIII

Zerrissen ist das Blatt vorm Mund. Geschichte, —

Geht mir der Staubwind wirklich nah,

Der alles auslöscht? Und daß man verzichte

Im Namen dessen was geschah

Auf den Vermeer (verbrannt), den Bach (verschollen),

War es das wert? Daß ganze Städte,

Aus denen Züge zur Vernichtung rollten,

Brachflächen wurden an den Ufern Lethes.

Gepflügt wird hier mit Bomben, und kein Bauer

Kennt sich mehr aus. Der Löwenzahn

Nimmt den Figuren auf dem Fries die Dauer.

Was geht Zerstörung, oben, einen Maulwurf an?

 

IX

Dresden, die Restestadt … ein Hinterhalt

Für Engel, die der Krieg hier internierte

Vorm Rückflug. Unter Sandstein und Basalt

Sind sie begraben worden. Zirkustiere

Waren die letzten, die sie fliehen sahn ins Feuer.

Ein Pferd, das rechnen konnte, und der Tiger,

Den William Blake rief. Keins ein Ungeheuer,

Verglichen mit den smarten Jungs, den Fliegern,

Die sich im Tiefflug Mensch und Bestie holten.

Ihr Kunststück brauchte kein Trapez, kein Netz

Hoch über der Manege. Die verkohlten

Apostel auf den Dächern stehn entsetzt.

 

X

›Nach einer Sekunde schon war sie
stundenlang fort.‹

PROUST / UNTERWEGS ZU SWANN

Stadt im Flockenwirbel vor beschlagner Brille —

Bei der ersten Heimkehr ging sie unbemerkt verloren.

Nur in Weihnachtsliedern gab es solche Stille

Wie in dieser Nacht am Bahnhofsplatz. Mit roten Ohren

Stand ein Milchgesicht im Schnee, und das warst du,

Dank des Urlaubsscheins auf freiem Fuß. Die Uniform

Ließ nur kleine Sprünge zu. Doch für ein Känguruh

War bei Minusgraden die Geduld enorm.

Keiner kam, dich abzuholen. In der eignen Stadt

War man endlich fremd. Das Leben hinter den Gardinen,

Die Burleske, bis der letzte sagt,
Jetzt bin ich satt…,

Sah vom Stehplatz aus wie große Pantomime.

Niemals wieder hätte man soviel gegeben,

Wenn die Schöne in der Straßenbahn, befehlsgewohnt,

Nur gelächelt hätte. Sah man doch, Familienleben

Ging auch weiter ohne den verlornen Sohn.

 

XI

Im Ernst, Max, von so einer Stadt

Träumt man leicht, bis man schwarz wird.

Auch ohne Tränen sieht man die Farben zerfließen.

Über dem grausam zerschlissnen Brokat

Benimmt selbst der Himmel sich kindisch.

Doch was soll's, in die neuen wetterfesten Markisen

Sind Geschichten kaum noch gewebt.

Nur die schwarzgelben Wappen schlagen

Überall durch den Stoff, als sei gar nichts geschehn.

Soll man, wenn dort ein Zeppelin schwebt,

Melancholisch werden beim Anblick der Elbe?

Niemand, nach hundert Jahren, ließe sich soweit gehn.

EUROPE AFTER THE LAST RAINS

I

Memory has no real estate … no city

where you come home and you know where you are.

Is there no when

where this rampaging dream will rest?

Your first river is distributed

round the houses by the water board. On the chilly heating pipes

there are the rust-red drips even now.

A roaring in your ears

washes away the A–Z of early streets.

Those places you used to find in your sleep, where you took

your first faltering steps … see them all

evacuated.

 

II

Dresden is long ago,

yesterday's ballroom, a little implausible

in the new plainness, a large-scale rumor,

an obituary in the official chronicles of the German army.

So and so many candlepower for one night,

is it the same city in the valley, the same

(approaching some Las Vegas on the Elbe)

as the pilot saw in its phosphorescent glory?

It was at one and the same time

long doomed, still inhabited, and already forgotten

by the last of its fly-by-night tenants, the Furies flitting

from civilization to ashes.

 

III

Because the word celebrating it

has come too late, the city buried at the city's edge.

Where a rubbish dump looms, the local Vesuvius

spews black smoke over the pine woods, the earth

has reclaimed it, and there's nothing

to distinguish this place from other places

built on ashes, on solid renunciation.

The terraced, domed, and baroque past

subsides, subzero, under piles of trash.

Like the condensation furring a watch glass from within,

whatever's left of the city lies between sky and outline

in a rainy valley under gray dew.

And there it lives on in whispers, in rumors of stone,

about the ducal procession. Italian air

here goes by the name of Pompeiian smog or northernmost vines.

But the word celebrating it comes too late.

 

IV

Our eyes teared up every day (and years later)

from gazing at the river. Hello, Elbe.

My mother used to swim there as a girl,

in that sluggish yellow-brown soup.

There was no shimmer of oil on her hair. The same

low light broke through the postwar days.

The vista of the city was somewhat diminished,

but fishermen still hunkered by the score on the banks,

and there wasn't much in the way of shipping.

A river, but what's a river when the city sinks

before its waves, reflecting back the blaze.

A murky sky, all ablink with dead fishes,

an emergency exit, the door with seven seals—

a plug for the nearest open sea?

 

V

And at night the silent German city,

austerely north-facing station,

using street lamps sparingly as question marks

and behind every sentence a period—how many watts?

“What became of Xanadu post–Kubla Khan?”

“Who are those gray people, scrabbling around like mice?”

Like Islamabad-on-the-Elbe …
The fantasy mosque

puffed out its cheeks and summoned—from the abattoir turrets

to
the big garden
—the faithful to the fast.

You hadn't left the station before you heard the first
“Nee.”

And saw giraffe necks, long floodlight stanchions,

craning peculiarly, hunching round the soccer stadium.

The Blue Wonder was the name of a bridge upstream,

a somewhat unmotivated construction. Still, it stood there,

handy and cast iron, useful in the postwar jungle of the city.

Along the scuffed banks, worn brown in parts,

you still encountered massy baroque. Some souls might find

their personal Angkor Wat there in the chilly moonlight.

 

VI

to my grandmother, Dora W.

When the first wave of bombers came, she was

in hospital with scarlet fever. The air-raid alarm

tore many from their dreams. The winter air grew warm,

and the night was bright as day.

Like ghosts in their white nightshirts,

they ran barefoot to the Elbe meadows …

panic, a surge of air from the bomb bays,

before the angels trumpeted from on high.

And when the second wave of bombers came,

the city vanished into a silent film, and no shadow fell

as it burned through the wall of flame,

that was objective to some, and a trap to others.

On one twentieth-century night, planes

delivered a second stone age.

The odd bomb shelter, like the tomb behind the stone,

housed man, wife, and child, all done to a crisp.

And when the third wave came, she was walking

calmly in the line of refugees, on tottering legs

to the afterlife. There were no tears,

nothing left to cry with in whatever was left.

 

VII

Hiroshima
, it seems, was Plan B.

The premiere was to have been in Dresden

for the bomb that every schoolkid draws nowadays—

the giant mushroom, the world famous parting gesture

of the old opera skies. How much more beautifully

the dazzling toadstool would have sprouted here,

over the pale sandstone residence, as the logical pinnacle

of so much Baroque. Moving, the vision

of what might have been, the legendary final cloud

harmoniously exploding
here.

 

VIII

Nothing veiled anymore, history,

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