Authors: Johann Wolfgang Von Goethe
| O sähst du, voller Mondenschein, |
| Zum letztenmal auf meine Pein, |
| Den ich so manche Mitternacht |
| An diesem Pult herangewacht: |
390 | Dann über Büchern und Papier, |
| Trübsel’ger Freund, erschienst du mir! |
| Ach! könnt’ ich doch auf Bergeshöhn |
| In deinem lieben Lichte gehn, |
| Um Bergeshöhle mit Geistern schweben, |
| Auf Wiesen in deinem Dämmer weben, |
| Von allem Wissensqualm entladen, |
| In deinem Tau gesund mich baden! |
| Weh! steck’ ich in dem Kerker noch? |
| Verfluchtes dumpfes Mauerloch, |
400 | Wo selbst das liebe Himmelslicht |
| Trüb durch gemalte Scheiben bricht! |
| Beschränkt von diesem Bücherhauf, |
| Den Würme nagen, Staub bedeckt, |
| Den, bis ans hohe Gewölb’ hinauf, |
| Ein angeraucht Papier umsteckt; |
| Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt, |
| Mit Instrumenten vollgepfropft, |
| Urväter-Hausrat drein gestopft— |
| Das ist deine Welt! das heißt eine Welt! |
410 | Und fragst du noch, warum dein Herz |
| Sich bang in deinem Busen klemmt? |
| Warum ein unerklärter Schmerz |
| Dir alle Lebensregung hemmt? |
| Statt der lebendigen Natur, |
| Da Gott die Menschen schuf hinein, |
| Umgibt in Rauch und Moder nur |
| Dich Tiergeripp’ und Totenbein. |
| Flieh! auf! hinaus ins weite Land! |
| Und dies geheimnisvolle Buch, |
420 | Von Nostradamus’ eigner Hand, |
| Ist dir es nicht Geleit genug? |
| Erkennest dann der Sterne Lauf, |
| Und wenn Natur dich unterweist, |
| Dann geht die Seelenkraft dir auf, |
| Wie spricht ein Geist zum andern Geist. |
| Umsonst, daß trocknes Sinnen hier |
| Die heil’gen Zeichen dir erklärt: |
| Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir; |
| Antwortet mir, wenn ihr mich hört! |
| ( Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus .) |
430 | Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick |
| Auf einmal mir durch alle meine Sinnen! |
| Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück |
| Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen. |
| War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb, |
| Die mir das innre Toben stillen, |
| Das arme Herz mit Freude füllen |
| Und mit geheimnisvollem Trieb |
| Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen? |
| Bin ich ein Gott? Mir wird so licht! |
440 | Ich schau’ in diesen reinen Zügen |
| Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen. |
| Jezt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht: |
| “Die Geisterwelt ist nicht verschlossen; |
| Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot! |
| Auf, bade, Schüler, unverdrossen |
| Die ird’sche Brust im Morgenrot!” |
| ( Er beschaut das Zeichen .) |
| Wie alles sich zum Ganzen webt, |
| Eins in dem andern wirkt und lebt! |
| Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen |
450 | Und sich die goldnen Eimer reichen! |
| Mit segenduftenden Schwingen |
| Vom Himmel durch die Erde dringen, |
| Harmonisch all das All durchklingen! |
| Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur! |
| Wo fass’ ich dich, unendliche Natur? |
| Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens, |
| An denen Himmel und Erde hängt, |
| Dahin die welke Brust sich drängt— |
| Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens? |
| ( Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes .) |
460 | Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! |
| Du, Geist der Erde, bist mir näher; |
| Schon fühl’ ich meine Kräfte höher, |
| Schon glüh’ ich wie von neuem Wein, |
| Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen, |
| Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen, |
| Mit Stürmen mich herumzuschlagen |
| Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen. |
| Es wölkt sich über mir— |
| Der Mond verbirgt sein Licht— |
470 | Die Lampe schwindet! |
| Es dampft—Es zucken rote Strahlen |
| Mir um das Haupt—Es weht |
| Ein Schauer vom Gewölb’ herab |
| Und faßt mich an! |
| Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist. |
| Enthülle dich! |
| Ha! wie’s in meinem Herzen reißt! |
| Zu neuen Gefühlen |
| All’ meine Sinnen sich erwühlen! |
480 | Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! |
| Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben! |
| ( Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der GEIST erscheint in der Flamme .) |
| Wer ruft mir? |
FAUST
(
abgewendet
)
.
| Schreckliches Gesicht! |
| Du hast mich mächtig angezogen, |
| An meiner Sphäre lang’ gesogen, |
| Und nun— |
| Weh! ich ertrag’ dich nicht! |
| Du flehst eratmend, mich zu schauen, |
| Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn; |
| Mich neigt dein mächtig Seelenflehn, |
| Da bin ich!—Welch erbärmlich Grauen |
490 | Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf? |
| Wo bist die Brust, die eine Welt in sich erschuf |
| Und trug und hegte, die mit Freudebeben |
| Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben? |
| Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang, |
| Der sich an mich mit allen Kräften drang? |
| Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert, |
| In allen Lebenstiefen zittert, |
| Ein furchtsam weggekrümmter Wurm? |
| Soll ich dir, Flammenbildung, weichen? |
500 | Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen! |
| In Lebensfluten, im Tatensturm |
| Wall’ ich auf und ab, |
| Webe hin und her! |
| Geburt und Grab, |
| Ein ewiges Meer, |
| Ein wechselnd Weben, |
| Ein glühend Leben, |
| So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit |
| Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid. |
510 | Der du die weite Welt umschweifst, |
| Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir! |
| Du gleichst dem Geist, den du begreifst, |
| Nicht mir! |
| ( Verschwindet .) |
FAUST
(
zusammenstürzend
)
.
| Nicht dir? |
| Wem denn? |
| Ich Ebenbild der Gottheit! |
| Und nicht einmal dir! |
| ( Es klopft .) |
| O Tod! ich kenn’s—das ist mein Famulus— |
| Es wird mein schönstes Glück zunichte! |
520 | Daß diese Fülle der Gesichte |
| Der trockne Schleicher stören muß! |
| ( WAGNER im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. FAUST wendet sich unwillig .) |
| Verzeiht! ich hör’ Euch deklamieren; |
| Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel? |
| In dieser Kunst möcht’ ich was profitieren, |
| Denn heutzutage wirkt das viel. |
| Ich hab’ es öfters rühmen hören, |
| Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren. |
| Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist; |
| Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag. |
530 | Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist, |
| Und sieht die Welt kaum einen Feiertag, |
| Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten, |
| Wie soll man sie durch Überredung leiten? |
| Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen, |
| Wenn es nicht aus der Seele dringt |
| Und mit urkräftigem Behagen |
| Die Herzen aller Hörer zwingt. |
| Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen, |
| Braut ein Ragout von andrer Schmaus, |
540 | Und blast die kümmerlichen Flammen |
| Aus eurem Aschenhäufchen ’raus! |
| Bewundrung von Kindern und Affen, |
| Wenn euch darnach der Gaumen steht— |
| Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen, |
| Wenn es euch nicht von Herzen geht. |
| Allein der Vortrag macht des Redners Glück; |
| Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück. |
| Such’ Er den redlichen Gewinn! |
| Sei Er kein schellenlauter Tor! |
550 | Es trägt Verstand und rechter Sinn |
| Mit wenig Kunst sich selber vor; |
| Und wenn’s euch Ernst ist, was zu sagen, |
| Ist’s nötig, Worten nachzujagen? |
| Ja, eure Reden, die so blinkend sind, |
| In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt, |
| Sind unerquicklich wie der Nebelwind, |
| Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt! |
| Ach Gott! die Kunst ist lang, |
| Und kurz ist unser Leben. |
560 | Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben, |
| Doch oft um Kopf und Busen bang. |
| Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben, |
| Durch die man zu den Quellen steigt! |
| Und eh’ man nur den halben Weg erreicht, |
| Muß wohl ein armer Teufel sterben. |