Faust (34 page)

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Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

BOOK: Faust
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O sähst du, voller Mondenschein,
 
Zum letztenmal auf meine Pein,
 
Den ich so manche Mitternacht
 
An diesem Pult herangewacht:
390
Dann über Büchern und Papier,
 
Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
 
Ach! könnt’ ich doch auf Bergeshöhn
 
In deinem lieben Lichte gehn,
 
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
 
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
 
Von allem Wissensqualm entladen,
 
In deinem Tau gesund mich baden!
 
Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
 
Verfluchtes dumpfes Mauerloch,
400
Wo selbst das liebe Himmelslicht
 
Trüb durch gemalte Scheiben bricht!
 
Beschränkt von diesem Bücherhauf,
 
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
 
Den, bis ans hohe Gewölb’ hinauf,
 
Ein angeraucht Papier umsteckt;
 
Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,
 
Mit Instrumenten vollgepfropft,
 
Urväter-Hausrat drein gestopft—
 
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!
410
Und fragst du noch, warum dein Herz
 
Sich bang in deinem Busen klemmt?
 
Warum ein unerklärter Schmerz
 
Dir alle Lebensregung hemmt?
 
Statt der lebendigen Natur,
 
Da Gott die Menschen schuf hinein,
 
Umgibt in Rauch und Moder nur
 
Dich Tiergeripp’ und Totenbein.
 
Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
 
Und dies geheimnisvolle Buch,
420
Von Nostradamus’ eigner Hand,
 
Ist dir es nicht Geleit genug?
 
Erkennest dann der Sterne Lauf,
 
Und wenn Natur dich unterweist,
 
Dann geht die Seelenkraft dir auf,
 
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.
 
Umsonst, daß trocknes Sinnen hier
 
Die heil’gen Zeichen dir erklärt:
 
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;
 
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!
 
        (
Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus
.)
430
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick
 
Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
 
Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
 
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
 
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,
 
Die mir das innre Toben stillen,
 
Das arme Herz mit Freude füllen
 
Und mit geheimnisvollem Trieb
 
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?
 
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!
440
Ich schau’ in diesen reinen Zügen
 
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
 
Jezt erst erkenn’ ich, was der Weise spricht:
 
“Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
 
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
 
Auf, bade, Schüler, unverdrossen
 
Die ird’sche Brust im Morgenrot!”
 
        (
Er beschaut das Zeichen
.)
 
Wie alles sich zum Ganzen webt,
 
Eins in dem andern wirkt und lebt!
 
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen
450
Und sich die goldnen Eimer reichen!
 
Mit segenduftenden Schwingen
 
Vom Himmel durch die Erde dringen,
 
Harmonisch all das All durchklingen!
 
Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur!
 
Wo fass’ ich dich, unendliche Natur?
 
Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
 
An denen Himmel und Erde hängt,
 
Dahin die welke Brust sich drängt—
 
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?
 
        (
Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes
.)
460
Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
 
Du, Geist der Erde, bist mir näher;
 
Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
 
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
 
Ich fühle Mut, mich in die Welt zu wagen,
 
Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,
 
Mit Stürmen mich herumzuschlagen
 
Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen.
 
Es wölkt sich über mir—
 
Der Mond verbirgt sein Licht—
470
Die Lampe schwindet!
 
Es dampft—Es zucken rote Strahlen
 
Mir um das Haupt—Es weht
 
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
 
Und faßt mich an!
 
Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.
 
Enthülle dich!
 
Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
 
Zu neuen Gefühlen
 
All’ meine Sinnen sich erwühlen!
480
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!
 
Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!
 
        (
Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der
GEIST
erscheint in der Flamme
.)

GEIST.

 
Wer ruft mir?

FAUST
(
abgewendet
)
.

 
                                   Schreckliches Gesicht!

GEIST.

 
Du hast mich mächtig angezogen,
 
An meiner Sphäre lang’ gesogen,
 
Und nun—

FAUST.

 
              Weh! ich ertrag’ dich nicht!

GEIST.

 
Du flehst eratmend, mich zu schauen,
 
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;
 
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
 
Da bin ich!—Welch erbärmlich Grauen
490
Faßt Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?
 
Wo bist die Brust, die eine Welt in sich erschuf
 
Und trug und hegte, die mit Freudebeben
 
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?
 
Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,
 
Der sich an mich mit allen Kräften drang?
 
Bist du es, der, von meinem Hauch umwittert,
 
In allen Lebenstiefen zittert,
 
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm?

FAUST.

 
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?
500
Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen!

GEIST.

 
In Lebensfluten, im Tatensturm
 
Wall’ ich auf und ab,
 
Webe hin und her!
 
Geburt und Grab,
 
Ein ewiges Meer,
 
Ein wechselnd Weben,
 
Ein glühend Leben,
 
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit
 
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

FAUST.

510
Der du die weite Welt umschweifst,
 
Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!

GEIST.

 
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
 
Nicht mir!
 
        (
Verschwindet
.)

FAUST
(
zusammenstürzend
)
.

 
Nicht dir?
 
Wem denn?
 
Ich Ebenbild der Gottheit!
 
Und nicht einmal dir!
 
        (
Es klopft
.)
 
O Tod! ich kenn’s—das ist mein Famulus—
 
Es wird mein schönstes Glück zunichte!
520
Daß diese Fülle der Gesichte
 
Der trockne Schleicher stören muß!
 
        (
WAGNER
im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.
FAUST
wendet sich unwillig
.)

WAGNER.

 
Verzeiht! ich hör’ Euch deklamieren;
 
Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel?
 
In dieser Kunst möcht’ ich was profitieren,
 
Denn heutzutage wirkt das viel.
 
Ich hab’ es öfters rühmen hören,
 
Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.

FAUST.

 
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
 
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

WAGNER.

530
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,
 
Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,
 
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
 
Wie soll man sie durch Überredung leiten?

FAUST.

 
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,
 
Wenn es nicht aus der Seele dringt
 
Und mit urkräftigem Behagen
 
Die Herzen aller Hörer zwingt.
 
Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,
 
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,
540
Und blast die kümmerlichen Flammen
 
Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
 
Bewundrung von Kindern und Affen,
 
Wenn euch darnach der Gaumen steht—
 
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
 
Wenn es euch nicht von Herzen geht.

WAGNER.

 
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
 
Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.

FAUST.

 
Such’ Er den redlichen Gewinn!
 
Sei Er kein schellenlauter Tor!
550
Es trägt Verstand und rechter Sinn
 
Mit wenig Kunst sich selber vor;
 
Und wenn’s euch Ernst ist, was zu sagen,
 
Ist’s nötig, Worten nachzujagen?
 
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,
 
In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,
 
Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
 
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

WAGNER.

 
Ach Gott! die Kunst ist lang,
 
Und kurz ist unser Leben.
560
Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,
 
Doch oft um Kopf und Busen bang.
 
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
 
Durch die man zu den Quellen steigt!
 
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,
 
Muß wohl ein armer Teufel sterben.

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