Faust (37 page)

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Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

BOOK: Faust
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WAGNER.

 
Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,
 
Ist ehrenvolle und ist Gewinn;
 
Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
 
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
 
Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
 
Ist mir ein gar verhaßter Klang;
 
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
 
Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.
 
        (
BAUERN
unter der Linde
.)
 
                                   
Tanz und Gesang
.
 
              Der Schäfer putzte sich zum Tanz,
950
              Mit bunter Jacke, Band und Kranz,
 
              Schmuck war er angezogen.
 
              Schon um die Linde war es voll;
 
              Und alles tanzte schon wie toll.
 
              Juchhe! Juchhe!
 
              Juchheisa! Heisa! He!
 
              So ging der Fiedelbogen.
 
              Er drückte hastig sich heran,
 
              Da stieß er an ein Mädchen an
 
              Mit seinem Ellenbogen;
960
              Die frische Dirne kehrt’ sich um
 
              Und sagte: Nun, das find’ ich dumm!
 
              Juchhe! Juchhe!
 
              Juchheisa! Heisa! He!
 
              Seid nicht so ungezogen.
 
              Doch hurtig in dem Kreise ging’s,
 
              Sie tanzten rechts, sie tanzten links,
 
              Und alle Röcke flogen.
 
              Sie wurden rot, sie wurden warm
 
              Und ruhten atmend Arm in Arm,
970
              Juchhe! Juchhe!
 
              Juchheisa! Heisa! He!
 
              Und Hüft’ an Ellenbogen.
 
              Und tu mir doch nicht so vertraut!
 
              Wie mancher hat nicht seine Braut
 
              Belogen und betrogen!
 
              Er schmeichelte sie doch bei Seit’,
 
              Und von der Linde scholl es weit:
 
              Juchhe! Juchhe!
 
              Juchheisa! Heisa! He!
980
              Geschrei und Fiedelbogen.

ALTER BAUER.

 
Herr Doktor, das ist schön von Euch,
 
Daß Ihr uns heute nicht verschmäht
 
Und unter dieses Volksgedräng’,
 
Als ein so Hochgelahrter, geht.
 
So nehmet auch den schönsten Krug,
 
Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
 
Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
 
Daß er nicht nur den Durst Euch stillt:
 
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
990
Sei Euren Tagen zugelegt.

FAUST.

 
Ich nehme den Erquickungstrank,
 
Erwidr’ euch allen Heil und Dank.
 
        (
Das Volk sammelt sich im Kreis umher
.)

ALTER BAUER.

 
Fürwahr, es ist sehr wohl getan,
 
Daß Ihr am frohen Tag erscheint;
 
Habt Ihr es vormals doch mit uns
 
An bösen Tagen gut gemeint
 
Gar mancher steht lebendig hier,
 
Den Euer Vater noch zuletzt
 
Der heißen Fieberwut entriß,
1000
Als er der Seuche Ziel gesetzt.
 
Auch damals Ihr, ein junger Mann,
 
Ihr gingt in jedes Krankenhaus;
 
Gar manche Leiche trug man fort,
 
Ihr aber kamt gesund heraus;
 
Bestandet manche harte Proben;
 
Dem Helfer half der Helfer droben.

ALLE.

 
Gesundheit dem bewärten Mann,
 
Daß er noch lange helfen kann!

FAUST.

 
Vor jenem droben steht gebückt.
1010
Der helfen lehrt und Hilfe schickt.
 
        (
Er geht mit
WAGNERN
weiter
.)

WAGNER.

 
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann,
 
Bei der Verehrung dieser Menge haben!
 
O glücklich, wer von seinen Gaben
 
Solch einen Vorteil ziehen kann!
 
Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
 
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
 
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
 
Du gehst, in Reihen stehen sie,
 
Die Mützen fliegen in die Höh’:
1020
Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
 
Als käm’ das Venerabile.

FAUST.

 
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
 
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
 
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
 
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
 
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
 
Mit Tränen, Seufzen, Händeringen
 
Dacht’ ich das Ende jener Pest
 
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
1030
Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
 
O könntest du in meinem Innern lesen,
 
Wie wenig Vater und Sohn
 
Solch eines Ruhmes wert gewesen!
 
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
 
Der über die Natur und ihre heil’gen Kreise
 
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
 
Mit grillenhafter Mühe sann;
 
Der, in Gesellschaft von Adepten,
 
Sich in die schwarze Küche schloß
1040
Und, nach unendlichen Rezepten,
 
Das Widrige zusammengoß.
 
Da ward ein roter Leu, ein kühner Freier,
 
Im lauen Bad der Lilie vermählt,
 
Und beide dann mit offnem Flammenfeuer
 
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
 
Erschien darauf mit bunten Farben
 
Di junge Königin im Glas,
 
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
 
Und niemand fragte: wer genas?
1050
So haben wir mit höllischen Latwergen
 
In diesen Tälern, diesen Bergen
 
Weit schlimmer als die Pest getobt.
 
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
 
Sie welkten hin, ich muß erleben,
 
Daß man die frechen Mörder lobt.

WAGNER.

 
Wie könnt Ihr Euch darum betrüben!
 
Tut nicht ein braver Mann genug,
 
Die Kunst, die man ihm übertrug,
 
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben?
1060
Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
 
So wirst du gern von ihm empfangen;
 
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
 
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.

FAUST.

 
O glücklich, wer noch hoffen kann
 
Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen!
 
Was man nicht weiß, das eben brauchte man,
 
Und was man weiß, kann man nicht brauchen.
 
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut
 
Durch solchen Trübsinn nicht verkümmern!
1070
Betrachte, wie in Abendsonneglut
 
Die grünumgebnen Hütten schimmern.
 
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
 
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
 
O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
 
Ihr nach und immer nach zu streben!
 
Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
 
Die stille Welt zu meinen Füßen,
 
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,
 
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
1080
Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
 
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
 
Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten
 
Vor den erstaunten Augen auf.
 
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
 
Allein der neue Trieb erwacht,
 
Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,
 
Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,
 
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
 
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
1090
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
 
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
 
Doch ist es jedem eingeboren,
 
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
 
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
 
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
 
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
 
Der Adler ausgebreitet schwebt,
 
Und über Flächen, über Seen
 
Der Kranich nach der Heimat strebt.

WAGNER.

1100
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
 
Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
 
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt;
 
Des Vogels Fittich werd’ ich nie beneiden.
 
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
 
Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
 
Da werden Winternächte hold und schön,
 
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
 
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen,
 
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.

FAUST.

1110
Du bist dir nur des einen Triebs bewußt;
 
O lerne nie den andern kennen!
 
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
 
Die eine will sich von der andern trennen;
 
Die eine hält, in derber Liebeslust,
 
Sich an die Welt mit klammernden Organen;
 
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
 
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
 
O gibt es Geister in der Luft,
 
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
1120
So steiget nieder aus dem goldnen Duft
 
Und führt mich weg, zu neuem, buntem Leben!
 
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein
 
Und trüg’ er mich in fremde Länder!
 
Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,
 
Nicht feil um einen Königsmantel sein.

WAGNER.

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