| Berufe nicht die wohlbekannte Schar,
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| Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet,
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| Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
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| Von allen Enden her, bereitet.
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1130
| Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
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| Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;
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| Von Morgen ziehn, vetrocknend, sie heran
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| Und nähren sich von deinen Lungen;
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| Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
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| Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
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| So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,
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| Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
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| Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
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| Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;
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1140
| Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
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| Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
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| Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt,
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| Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
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| Am Abend schätzt man erst das Haus.—
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| Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?
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| Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?
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| Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
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| Die eine tiefe Nacht bedeckt,
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1180
| Mit ahnungsvollem, heil’gem Grauen
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| In uns die beßre Seele weckt.
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| Entschlafen sind nun wilde Triebe
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| Mit jedem ungestümen Tun;
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| Es reget sich die Menschenliebe,
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| Die Liebe Gottes regt sich nun.
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| Sei ruhig, Pudel! renne nicht hin und wider!
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| An der Schwelle was schnoperst du hier?
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| Lege dich hinter den Ofen nieder,
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| Mein bestes Kissen geb’ ich dir.
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1190
| Wie du draußen auf dem bergigen Wege
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| Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast,
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| So nimm nun auch von mir die Pflege,
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| Als ein willkommner stiller Gast.
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| Ach, wenn in unsrer engen Zelle
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| Die Lampe freundlich wieder brennt,
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| Dann wird’s in unserm Busen helle,
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| Im Herzen, das sich selber kennt.
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| Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
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| Und Hoffnung wieder an zu blühn,
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1200
| Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,
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| Ach! nach des Lebens Quelle hin.
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| Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen,
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| Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
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| Will der tierische Laut nicht passen.
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| Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,
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| Was sie nicht verstehn,
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| Daß sie vor dem Guten und Schönen,
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| Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;
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| Will es der Hund, wie sie, beknurren?
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1210
| Aber ach! schon fühl’ ich, bei dem besten Willen,
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| Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
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| Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
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| Und wir wieder im Durste liegen?
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| Davon hab’ ich so viel Erfahrung.
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| Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen:
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| Wir lernen das Überirdische schätzen,
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| Wir sehnen uns nach Offenbarung,
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| Die nirgends würd’ger und schöner brennt
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| Als in dem Neuen Testament.
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1220
| Mich drängt’s, den Grundtext aufzuschlagen,
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| Mit redlichem Gefühl einmal
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| Das heilige Original
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| In mein geliebtes Deutsch zu übertragen.
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| ( Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an .)
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| Geschrieben steht: „Im Anfang war das W o r t!“
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| Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
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| Ich kann das W o r t so hoch unmöglich schätzen,
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| Ich muß es anders übersetzen,
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| Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
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| Geschrieben steht: Im Anfang war der S i n n.
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1230
| Bedenke wohl die erste Zeile,
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| Daß deine Feder sich nicht übereile!
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| Ist es der S i n n, der alles wirkt und schafft?
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| Es sollte stehn: Im Anfang was die K r a f t!
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| Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
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| Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
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| Mir hilft der Geist! Auf einmal seh’ ich Rat
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| Und schreibe getrost: Im Anfang war die T a t!
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| Soll ich mit dir das Zimmer teilen,
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| Pudel, so laß das Heulen,
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1240
| So laß das Bellen!
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| Solch einen störenden Gesellen
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| Mag ich nicht in der Nähe leiden.
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| Einer von uns beiden
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| Muß die Zelle meiden.
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| Ungern heb’ ich das Gastrecht auf,
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| Die Tür ist offen, hast freien Lauf.
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| Aber was muß ich sehen!
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| Kann das natürlich geschehen?
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| Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?
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1250
| Wie wird mein Pudel lang und breit!
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| Er hebt sich mit Gewalt,
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| Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
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| Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
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| Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,
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| Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.
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| O! du bist mir gewiß!
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| Für solche halbe Höllenbrut
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| Ist Salomonis Schlüssel gut.
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| Erst zu begegnen dem Tiere,
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| Brauch’ ich den Spruch der viere:
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| Salamander soll glühen,
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| Undene sich winden,
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| Sylphe verschwinden,
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| Kobold sich mühen.
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| Wer sie nicht kennte,
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| Die Elemente,
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| Ihre Kraft
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1280
| Und Eigenschaft,
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| Wäre kein Meister
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| Über die Geister.
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| Verschwind in Flammen,
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| Salamander!
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| Rauschend fließe zusammen,
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| Undene!
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| Leucht in Meteoren-Schöne,
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| Sylphe!
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| Bring häusliche Hilfe,
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1290
| Incubus! Incubus!
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| Tritt hervor und mache den Schluß.
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| Keines der viere
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| Steckt in dem Tiere.
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| Es liegt ganz ruhig und grinst mich an;
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| Ich hab’ ihm noch nicht weh getan.
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| Du sollst mich hören
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| Stärker beschwören.
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| Bist du Geselle
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| Ein Flüchtling der Hölle?
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1300
| So sieh dies Zeichen,
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| Dem sie sich beugen,
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| Die schwarzen Scharen!
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| Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.
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| Verworfnes Wesen!
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| Kannst du ihn lesen?
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| Den nie Entsproßnen,
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| Unausgesprochnen,
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| Durch alle Himmel Gegoßnen,
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| Freventlich Durchstochnen?
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1310
| Hinter den Ofen gebannt,
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| Schwillt es wie ein Elefant,
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| Den ganzen Raum füllt es an,
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| Es will zum Nebel zerfließen.
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| Steige nicht zur Decke hinan!
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| Lege dich zu des Meisters Füßen!
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| Du siehst, daß ich nicht vergebens drohe.
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| Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
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| Erwarte nicht
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| Das dreimal glühende Licht!
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1320
| Erwarte nicht
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| Die stärkste von meinen Künsten!
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| ( MEPHISTOPHELES tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.)
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