| O ja, bis an die Sterne weit!
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| Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
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| Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
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| Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
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| Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
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| In dem die Zeiten sich bespiegeln.
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| Da ist’s denn wahrlich oft ein Jammer!
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| Man läuft euch bei dem ersten Blick davon:
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| Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer
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| Und höchstens eine Haupt- und Staatsaktion
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| Mit trefflichen pragmatischen Maximen,
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| Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!
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| Ja, was man so erkennen heißt!
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| Wer darf das Kind beim rechten Namen nennen?
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| Die wenigen, die was davon erkannt,
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| Die töricht gnug ihr volles Herz nicht wahrten,
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| Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
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| Hat man von je gekreuzigt und verbrannt.
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| Ich bitt’ Euch, Freund, es ist tief in der Nacht,
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| Wir müssen’s diesmal unterbrechen.
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| Darf eine solche Menschenstimme hier,
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| Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
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| Doch ach! für diesmal dank’ ich dir,
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| Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
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| Du rissest mich von der Verzweiflung los,
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| Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
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| Ach! die Erscheinung war so riesengroß,
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| Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.
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| Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon
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| Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,
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| Sein selbst genoß in Himmelsglanz und Klarheit,
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| Und abgestreift den Erdensohn;
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| Ich, mehr als Cherub, dessen freie Kraft
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| Schon durch die Adern der Natur zu fließen
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| Und, schaffend, Götterleben zu genießen
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| Sich ahnungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!
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| Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.
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| Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen!
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| Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen,
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| So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.
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| In jenem sel’gen Augenblicke
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| Ich fühlte mich so klein, so groß;
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| Du stießest grausam mich zurücke,
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| Ins ungewisse Menschenlos.
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| Wer lehret mich? was soll ich meiden?
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| Soll ich gehorchen jenem Drang?
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| Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden,
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| Sie hemmen unsres Lebens Gang.
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| Wenn Phantasie sich sonst mit kühnem Flug
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| Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
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| So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
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| Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
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| Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,
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| Dort wirket sie geheime Schmerzen,
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| Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
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| Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,
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| Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
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| Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
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| Du bebst vor allem, was nicht trifft,
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| Und was du nie verlierst, das mußt du stets beweinen.
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| Den Göttern gleich’ ich nicht! Zu tief ist es gefühlt;
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| Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt,
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| Den, wie er sich im Staube nährend lebt,
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| Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.
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| Ist es nicht Staub, was diese hohe Wand
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| Aus hundert Fächern mir verenget,
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| Der Trödel, der mit tausendfachem Tand
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| In dieser Mottenwelt mich dränget?
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| Hier soll ich finden, was mir fehlt?
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| Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
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| Daß überall die Menschen sich gequält,
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| Daß hie und da ein Glücklicher gewesen?—
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| Was grinsest du mir, hohler Schädel, her,
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| Als daß dein Hirn wie meines einst verwirret
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| Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
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| Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret?
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| Ihr Instrumente freilich spottet mein
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| Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel:
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| Ich stand am Tor, ihr solltet Schlüssel sein;
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| Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
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| Geheimnisvoll am lichten Tag
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| Läßt sich Natur des Schleiers nicht berauben,
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| Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,
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| Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.
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| Du alt Geräte, das ich nicht gebraucht,
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| Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
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| Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
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| Solang’ an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.
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| Weit besser hätt’ ich doch mein weniges verpraßt,
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| Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!
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| Was du ererbt von deinen Vätern hast,
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| Erwirb es, um es zu besitzen.
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| Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,
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| Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.
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| Ich grüße dich, du einzige Phiole,
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| Die ich mit Andacht nun herunterhole!
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| In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
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| Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
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| Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,
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| Erweise deinem Meister deine Gunst!
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| Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
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| Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
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| Des Geistes Flutstrom ebbet nach und nach.
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| Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,
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| Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen,
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| Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
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| Ein Feuerwagen schwebt auf leichten Schwingen
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| An mich heran! Ich fühle mich bereit,
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| Auf neuer Bahn den Äther zu durchdringen,
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| Zu neuen Sphären reiner Tätigkeit.
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| Dies hohe Leben, diese Götterwonne,
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| Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
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| Ja, kehre nur der holden Erdensonne
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| Entschlossen deinen Rücken zu!
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| Vermesse dich, die Pforten aufzureißen,
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| Vor denen jeder gern vorüberschleicht.
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| Hier ist es Zeit, durch Taten zu beweisen,
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| Daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht,
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| Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,
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| In der sich Phantasie zu eigner Qual verdammt,
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| Nach jenem Durchgang hinzustreben,
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| Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
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| Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen,
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| Und wär’ es mit Gefahr, ins Nichts dahinzufließen.
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| Nun komm herab, kristallne reine Schale!
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| Hervor aus deinem alten Futterale,
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| An die ich viele Jahre nicht gedacht!
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| Du glänztest bei der Väter Freudenfeste,
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| Erheitertest die ernsten Gäste,
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| Wenn einer dich dem andern zugebracht.
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| Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
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| Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
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| Auf einen Zug die Höhlung auszuleeren,
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| Erinnert mich an manche Jugendnacht;
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| Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
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| Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen;
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| Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht;
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| Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
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| Den ich bereitet, den ich wähle,
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| Der letzte Trunk sei nun, mit ganzer Seele,
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| Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!
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| ( Er setzt die Schale an den Mund .)
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| ( Glockenklang und Chorgesang .)
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| Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton
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| Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
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| Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon
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| Des Osterfestes erste Feierstunde?
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| Ihr Chöre, singt ihr schon den tröstlichen Gesang,
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| Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,
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| Gewißheit einem neuen Bunde?
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