Faust (59 page)

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Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

BOOK: Faust
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FAUST.

 
Ich bin’s!

MARGARET.

4470
              Du bist’s! O sag’ es noch einmal!
 
        (
Ihn fassend
.)
 
Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?
 
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
 
Du bist’s! Kommst, mich zu retten!
 
Ich bin gerettet!—
 
Schon ist die Straße wieder da,
 
Auf der ich dich zum ersten Male sah.
 
Und der heitere Garten,
 
Wo ich und Marthe deiner warten.

FAUST
(
fortstrebend
)
.

 
Komm mit! Komm mit!

MARGARET.

 
                                   O weile!
4480
Weil’ ich doch so gern, wo du weilest.
 
        (
Liebkosend
.)

FAUST.

 
Eile!
 
Wenn du nicht eilest,
 
Werden wir’s teuer büßen müssen.

MARGARET.

 
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
 
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,
 
Und hast ’s Küssen verlernt?
 
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
 
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
 
Ein ganzer Himmel mich überdrang,
4490
Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken.
 
Küsse mich!
 
Sonst küss’ ich dich!
 
        (
Sie umfaßt ihn
.)
 
O weh! deine Lippen sind kalt,
 
Sind stumm.
 
Wo ist dein Lieben
 
Geblieben?
 
Wer brachte mich drum?
 
        (
Sie wendet sich von ihm
.)

FAUST.

 
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!
 
Ich herze dich mit tausendfacher Glut;
4500
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!

MARGARET
(
zu ihm gewendet
)
.

 
Und bist du’s denn? Und bist du’s auch gewiß?

FAUST.

 
Ich bin’s! Komm mit!

MARGARET.

 
                                   Du machst die Fesseln los,
 
Nimmst wieder mich in deinen Schoß.
 
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust?—
 
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?

FAUST.

 
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

MARGARET.

 
Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
 
Mein Kind hab’ ich ertränkt.
 
War es nicht dir und mir geschenkt?
4510
Dir auch.—Du bist’s! ich glaub’ es kaum.
 
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
 
Deine liebe Hand!—Ach aber sie ist feucht!
 
Wische sie ab! Wie mich deucht,
 
Ist Blut dran.
 
Ach Gott! was hast du getan!
 
Stecke den Degen ein,
 
Ich bitte dich drum!

FAUST.

 
Laß das Vergangne vergangen sein,
 
Du bringst mich um.

MARGARET.

4520
Nein, du mußt übrigbleiben!
 
Ich will dir die Gräber beschreiben.
 
Für die mußt du sorgen
 
Gleich morgen;
 
Der Mutter den besten Platz geben,
 
Meinen Bruder sogleich darneben,
 
Mich ein wenig beiseit’,
 
Nur nicht gar zu weit!
 
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
 
Niemand wird sonst bei mir liegen!
4530
Mich an deine Seite zu schmiegen,
 
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
 
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
 
Mir ist’s, als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
 
Als stießest du mich von dir zurück;
 
Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.

FAUST.

 
Fühlst du, daß ich es bin, so komm!

MARGARET.

 
Dahinaus?

FAUST.

 
Ins Freie.

MARGARET.

 
              Ist das Grab drauß,
 
Lauert der Tod, so komm!
4540
Von hier ins ewige Ruhebett
 
Und weiter keinen Schritt—
 
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt’ ich mit!

FAUST.

 
Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen.

MARGARET.

 
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
 
Was hilft es fliehn? Sie lauern doch mir auf.
 
Es ist so elend, betteln zu müssen,
 
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
 
Es ist so elend, in der Fremde schweifen,
 
Und sie werden mich doch ergreifen!

FAUST.

4550
Ich bleibe bei dir.

MARGARET.

 
Geschwind! Geschwind!
 
Rette dein armes Kind.
 
Fort! Immer den Weg
 
Am Bach hinauf,
 
Über den Steg,
 
In den Wald hinein,
 
Links, wo die Planke steht,
 
Im Teich.
 
Faß es nur gleich!
4560
Es will sich heben,
 
Es zappelt noch!
 
Rette! rette!

FAUST.

 
Besinne dich doch!
 
Nur e i n e n Schritt, so bist du frei!

MARGARET.

 
Wären wir nur den Berg vorbei!
 
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
 
Es faßt mich kalt beim Schopfe!
 
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
 
Und wackelt mit dem Kopfe;
4570
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
 
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
 
Sie schlief, damit wir uns freuten.
 
Es waren glückliche Zeiten!

FAUST.

 
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,
 
So wag’ ich’s, dich hinweg zu tragen.

MARGARET.

 
Laß mich! Nein, ich leide kein Gewalt!
 
Fasse mich nicht so mörderisch an!
 
Sonst hab’ ich dir ja alles zu Lieb’ getan.

FAUST.

 
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!

MARGARET.

4580
Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
 
Mein Hochzeittag sollt’ es sein!
 
Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst.
 
Weh meinem Kranze!
 
Es ist eben geschehn!
 
Wir werden uns wiedersehn;
 
Aber nicht beim Tanze.
 
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
 
Der Platz, die Gassen
 
Können sie nicht fassen.
4590
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
 
Wie sie mich binden und packen!
 
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
 
Schon zuckt nach jedem Nacken
 
Die Schärfe, die nach meinem zückt.
 
Stumm liegt die Welt wie das Grab!

FAUST.

 
O wär’ ich nie geboren!

MEPHISTOPHELES
(
erscheint draußen
)
.

 
Auf! oder ihr seid verloren.
 
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
 
Meine Pferde schaudern,
4600
Der Morgen dämmert auf.

MARGARET.

 
Was steigt aus dem Boden herauf?
 
Der! der! Schick’ ihn fort!
 
Was will der an dem heiligen Ort?
 
Er will mich!

FAUST.

 
                                   Du sollst leben!

MARGARET.

 
Gericht Gottes! dir hab’ ich mich übergeben!

MEPHISTOPHELES
(
zu
FAUST
)
.

 
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

MARGARET.

 
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
 
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
 
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
4610
Heinrich! Mir graut’s vor dir.

MEPHISTOPHELES.

 
Sie ist gerichtet!

STIMME
(
von oben
)
.

 
                                   Ist gerettet!

MEPHISTOPHELES
(
zu
FAUST
)
.

 
                                                  Her zu mir!
 
        (
Verschwindet mit
FAUST
.)

STIMME
(
von innen, verhallend
)
.

 
Heinrich! Heinrich!
NOTES

  
1.
DEDICATION
. Composed in 1797, when the poet, under the prodding of his friend Friedrich Schiller, decided to resume work on his
Faust
, which had been left unfinished for some years.

  
2.
PROLOGUE IN HEAVEN
. Goethe drew inspiration for this scene from the Book of Job.

  
3.
Nostradamus. French physician and astrologer (1503–1566). Famous for his prophecies, which some believe are still coming true.

  
4.
Earth Spirit. Goethe not only drew on archetypal myths but occasionally created his own. Stage directors have always felt free to represent the Earth Spirit in accordance with their own inspiration and requirements. The poet in a well-known pencil sketch gave his own interpretation. The drawing suggests a colossal face with Grecian features.

  
5.
Note the contrast between Faust’s unrestrained emotion in his present mood, and Wagner’s reliance on the rules of rhetoric and philistine, rational analysis.

  
6.
This is a rendering of the Latin
“ars longa, vita brevis,”
attributed to Hippocrates. This old saw typically expresses the eighteenth-century rationalist’s reliance on accepted writings of classical antiquity.

  
7.
It is significant that the joyous Easter choirs celebrating the Resurrection turn Faust’s thoughts away from suicide.

  
8.
BEFORE THE GATE
. This scene is commonly known as
Osterspaziergang
, or “Easter Walk.”

  
9.
Burgdorf. A small village.

10.
St. Andrew’s Night. Saint Andrew is the legendary patron saint of unmarried girls looking for husbands.

11.
“Black kitchen” was the alchemists’ laboratory. “Red Lion” and “Lily” are chemicals. “Bridal Chamber” is the chemical retort. The “Queen” is the miraculous drug. These terms are all part of the alchemists’ jargon.

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