FAUST.
| Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!
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MEPHISTOPHELES.
| Und die Physiognomie versteht sie meisterlich:
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| In meiner Gegenwart wird’s ihr, sie weiß nicht wie,
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| Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;
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3540
| Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
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| Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
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| Nun, heute nacht—?
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Hab’ ich doch meine Freude dran!
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AM BRUNNEN
Gretchen und Lieschen mit Krügen
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LIESCHEN.
| Hast nichts von Bärbelchen gehört?
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GRETCHEN.
| Kein Wort. Ich komm’ gar wenig unter Leute.
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LIESCHEN.
| Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
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| Die hat sich endlich auch betört.
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| Das ist das Vornehmtun!
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GRETCHEN.
LIESCHEN.
| Es stinkt!
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| Sie füttert zwei, wenn sie nun ißt und trinkt.
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GRETCHEN.
LIESCHEN.
| So ist’s ihr endlich recht ergangen.
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| Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
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| Das war ein Spazieren,
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| Auf Dorf und Tanzplatz Führen,
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| Mußt’ überall die Erste sein,
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| Kurtesiert’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
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| Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,
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| War doch so ehrlos, sich nicht zu schämen,
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| Geschenke von ihm anzunehmen.
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3560
| War ein Gekos’ und ein Geschleck’;
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| Da ist denn auch das Blümchen weg!
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GRETCHEN.
LIESCHEN.
| Bedauerst sie noch gar!
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| Wenn unsereins am Spinnen war,
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| Uns nachts die Mutter nicht hinunterließ,
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| Stand sie bei ihrem Buhlen süß,
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| Auf der Türbank und im dunkeln Gang
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| Ward ihnen keine Stunde zu lang.
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| Da mag sie denn sich ducken nun,
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| Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ tun!
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GRETCHEN.
3570
| Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.
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LIESCHEN.
| Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
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| Hat anderwärts noch Luft genung.
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| Er ist auch fort.
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GRETCHEN.
LIESCHEN.
| Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.
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| Das Kränzel reißen die Buben ihr,
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| Und Häckerling streuen wir vor die Tür!
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| ( Ab .)
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GRETCHEN
(
nach Hause gehend
)
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| Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmälen,
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| Wenn tät ein armes Mägdlein fehlen!
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| Wie konnt’ ich über andrer Sünden
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3580
| Nicht Worte gnug der Zunge finden!
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| Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
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| Mir’s immer doch nicht schwarz gnug war,
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| Und segnet’ mich und tat so groß,
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| Und bin nun selbst der Sünde bloß!
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| Doch—alles, was dazu mich trieb,
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| Gott! war so gut! ach war so lieb!
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ZWINGER
In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.
GRETCHEN
(
steckt frische Blumen in die Krüge
)
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| Ach neige,
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| Du Schmerzenreiche,
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| Dein Antlitz gnädig meiner Not!
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3590
| Das Schwert im Herzen,
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| Mit tausend Schmerzen
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| Blickst auf zu deines Sohnes Tod.
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| Zum Vater blickst du,
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| Und Seufzer schickst du
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| Hinauf um sein’ und deine Not.
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| Wer fühlet,
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| Wie wühlet
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| Der Schmerz mir im Gebein?
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| Was mein armes Herz hier banget,
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3600
| Was es zittert, was verlanget,
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| Weißt nur du, nur du allein!
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| Wohin ich immer gehe,
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| Wie weh, wie weh, wie wehe
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| Wird mir im Busen hier!
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| Ich bin, ach, kaum alleine,
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| Ich wein’, ich wein’, ich weine,
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| Das Herz zerbricht in mir.
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| Die Scherben vor meinem Fenster
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| Betaut’ ich mit Tränen, ach,
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3610
| Als ich am frühen Morgen
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| Dir diese Blumen brach.
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| Schien hell in meine Kammer
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| Die Sonne früh herauf,
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| Saß ich in allem Jammer
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| In meinem Bett schon auf.
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| Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
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| Ach neige,
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| Du Schmerzenreiche,
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| Dein Antlitz gnädig meiner Not!
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NACHT
Straße vor Gretchens Türe.
VALENTIN
(
Soldat
,
GRETCHENS
Bruder
)
.
3620
| Wenn ich so saß bei einem Gelag,
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| Wo mancher sich berühmen mag,
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| Und die Gesellen mir den Flor
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| Der Mägdlein laut gepriesen vor,
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| Mit vollem Glas das Lob verschwemmt—
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| Den Ellenbogen aufgestemmt
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| Saß ich in meiner sichern Ruh’,
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| Hört’ all dem Schwadronieren zu,
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| Und streiche lächelnd meinen Bart,
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| Und kriege das volle Glas zur Hand
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3630
| Und sage: Alles nach seiner Art!
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| Aber ist eine im ganzen Land,
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| Die meiner trauten Gretel gleicht,
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| Die meiner Schwester das Wasser reicht?
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| Topp! Topp! Kling! Klang! das ging herum;
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| Die einen schrieen: Er hat recht,
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| Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
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| Da saßen alle die Lober stumm.
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| Und nun!—um’s Haar sich auszuraufen
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| Und an den Wänden hinaufzulaufen!—
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3640
| Mit Stichelreden, Naserümpfen
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| Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
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| Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
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| Bei jedem Zufallswörtchen schwitzen!
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| Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen,
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| Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.
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| Was kommt heran? Was schleicht herbei?
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| Irr’ ich nicht, es sind ihrer zwei.
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| Ist er’s, gleich pack’ ich ihn beim Felle,
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| Soll nicht lebendig von der Stelle!
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| ( FAUST, MEPHISTOPHELES .)
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FAUST.
3650
| Wie von dem Fenster dort der Sakristei
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| Aufwärts der Schein des ew’gen Lämpchens flämmert
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| Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
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| Und Finsternis drängt ringsum bei!
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| So sieht’s in meinem Busen nächtig.
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MEPHISTOPHELES.
| Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,
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| Das an den Feuerleitern schleicht,
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| Sich leis’ dann um die Mauern streicht;
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| Mir ist’s ganz tugendlich dabei,
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| Ein bißchen Diebsgelüst, ein bißchen Rammelei.
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3660
| So spukt mir schon durch alle Glieder
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| Die herrliche Walpurgisnacht.
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| Die kommt uns übermorgen wieder,
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| Da weiß man doch, warum man wacht.
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FAUST.
| Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh’,
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| Den ich dort hinten flimmern seh?
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MEPHISTOPHELES.
| Du kannst die Freude bald erleben,
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| Das Kesselchen herauszuheben.
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| Ich schielte neulich so hinein,
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| Sind herrliche Löwentaler drein.
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FAUST.
3670
| Nicht ein Geschmeide, nicht ein Ring,
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| Meine liebe Buhle damit zu zieren?
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MEPHISTOPHELES.
| Ich sah dabei wohl so ein Ding,
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| Als wie eine Art von Perlenschnüren.
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FAUST.
| So ist es recht! Mir tut es weh,
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| Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh’.
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MEPHISTOPHELES.
| Es sollt’ Euch eben nicht verdrießen,
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| Umsonst auch etwas zu genießen.
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| Jetzt, da der Himmel voller Sterne glüht,
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| Sollt Ihr ein wahres Kunststück hören:
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3680
| Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,
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| Um sie gewisser zu betören.
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| ( Singt zur Zither .)
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| Was machst du mir
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| Vor Liebchens Tür,
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| Kathrinchen, hier
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| Bei frühem Tagesblicke?
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| Laß, laß es sein!
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| Er läßt dich ein,
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| Als Mädchen ein,
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| Als Mädchen nicht zurücke.
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3690
| Nehmt euch in acht!
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| Ist es vollbracht,
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| Dann gute Nacht,
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| Ihr armen, armen Dinger!
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| Habt ihr euch lieb,
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| Tut keinem Dieb
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| Nur nichts zu Lieb’,
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| Als mit dem Ring am Finger.
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VALENTIN
(
tritt vor
)
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| Wen lockst du hier? beim Element!
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| Vermaledeiter Rattenfänger!
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3700
| Zum Teufel erst das Instrument!
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| Zum Teufel hinterdrein den Sänger!
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