MEPHISTOPHELES.
| Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
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| Geh ein und tröste sie, du Tor!
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| Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
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| Stellt er sich gleich das Ende vor.
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3370
| Es lebe, wer sich tapfer hält!
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| Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
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| Nichts Abgeschmackters find’ ich auf der Welt
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| Als einen Teufel, der verzweifelt.
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GRETCHENS STUBE
GRETCHEN
(
am Spinnrade allein
)
.
| Meine Ruh’ ist hin,
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| Mein Herz ist schwer;
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| Ich finde sie nimmer
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| Und nimmermehr.
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| Wo ich ihn nicht hab’,
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| Ist mir das Grab,
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3380
| Die ganze Welt
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| Ist mir vergällt.
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| Mein armer Kopf
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| Ist mir verrückt,
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| Mein armer Sinn
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| Ist mir zerstückt.
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| Meine Ruh’ ist hin,
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| Mein Herz ist schwer;
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| Ich finde sie nimmer
|
| Und nimmermehr.
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3390
| Nach ihm nur schau’ ich
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| Zum Fenster hinaus,
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| Nach ihm nur geh’ ich
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| Aus dem Haus.
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| Sein hoher Gang,
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| Sein’ edle Gestalt,
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| Seines Mundes Lächeln,
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| Seiner Augen Gewalt,
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| Und seiner Rede
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| Zauberfluß,
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3400
| Sein Händedruck,
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| Und ach sein Kuß!
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| Meine Ruh’ ist hin,
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| Mein Herz ist schwer;
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| Ich finde sie nimmer
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| Und nimmermehr.
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| Mein Busen drängt
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| Sich nach ihm hin.
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| Ach dürft’ ich fassen
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| Und halten ihn,
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3410
| Und küssen ihn,
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| So wie ich wollt’,
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| An seinen Küssen
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| Vergehen sollt’!
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MARTHENS GARTEN
Margaret, Faust
.
MARGARET.
FAUST.
MARGARET.
| Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
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| Du bist ein herzlich guter Mann,
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| Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.
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FAUST.
| Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
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| Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,
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3420
| Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
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MARGARET.
| Das ist nicht recht, man muß dran glauben!
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FAUST.
MARGARET.
| Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
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| Du ehrst auch nicht die heil’gen Sakramente.
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FAUST.
MARGARET.
| Doch ohne Verlangen.
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| Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.
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| Glaubst du an Gott?
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FAUST.
| Mein Liebchen, wer darf sagen:
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| Ich glaub’ an Gott?
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| Magst Priester oder Weise fragen,
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| Und ihre Antwort scheint nur Spott
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| Über den Frager zu sein.
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MARGARET.
3430
| So glaubst du nicht?
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FAUST.
| Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
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| Wer darf ihn nennen?
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| Und wer bekennen:
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| Ich glaub’ ihn.
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| Wer empfinden,
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| Und sich unterwinden
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| Zu sagen: ich glaub’ ihn nicht?
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| Der Allumfasser,
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| Der Allerhalter,
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3440
| Faßt und erhält er nicht
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| Dich, mich, sich selbst?
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| Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
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| Liegt die Erde nicht hierunten fest?
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| Und steigen freundlich blickend
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| Ewige Sterne nicht herauf?
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| Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
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| Und drängt nicht alles
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| Nach Haupt und Herzen dir,
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| Und webt in ewigem Geheimnis
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3450
| Unsichtbar sichtbar neben dir?
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| Erfüll davon dein Herz, so groß es ist,
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| Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
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| Nenn es dann, wie du willst,
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| Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
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| Ich habe keinen Namen
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| Dafür! Gefühl ist alles;
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| Name ist Schall und Rauch,
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| Umnebelnd Himmelsglut.
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MARGARET.
| Das ist alles recht schön und gut;
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3460
| Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,
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| Nur mit ein bißchen andern Worten.
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FAUST.
| Es sagen’s allerorten
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| Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
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| Jedes in seiner Sprache;
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| Warum nicht ich in der meinen?
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MARGARET.
| Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
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| Steht aber doch immer schief darum;
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| Denn du hast kein Christentum.
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FAUST.
MARGARET.
| Es tut mir lang schon weh,
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3470
| Daß ich dich in der Gesellschaft seh’.
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FAUST.
MARGARET.
| Der Mensch, den du da bei dir hast,
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| Ist mir in tiefer innrer Seele verhaßt;
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| Es hat mir in meinem Leben
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| So nichts einen Stich ins Herz gegeben,
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| Als des Menschen widrig Gesicht.
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FAUST.
| Liebe Puppe, fürcht ihn nicht!
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MARGARET.
| Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
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| Ich bin sonst allen Menschen gut;
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| Aber wie ich mich sehne, dich zu schauen,
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3480
| Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,
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| Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
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| Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm unrecht tu’!
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FAUST.
| Es muß auch solche Käuze geben.
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MARGARET.
| Wollte nicht mit seinesgleichen leben!
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| Kommt er einmal zur Tür herein,
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| Sieht er immer so spöttisch drein
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| Und halb ergrimmt;
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| Man sieht, daß er an nichts keinen Anteil nimmt;
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| Es steht ihm an der Stirn geschrieben,
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3490
| Daß er nicht mag eine Seele lieben.
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| Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
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| So frei, so hingegeben warm,
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| Und seine Gegenwart schnürt mir das Innre zu.
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FAUST.
| Du ahnungsvoller Engel du!
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MARGARET.
| Das übermannt mich so sehr,
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| Daß, wo er nur mag zu uns treten,
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| Mein’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
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| Auch, wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
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| Und das frißt mir ins Herz hinein;
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3500
| Dir, Heinrich, muß es auch so sein.
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FAUST.
| Du hast nun die Antipathie!
|
MARGARET.
FAUST.
| Ach, kann ich nie
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| Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen,
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| Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?
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MARGARET.
| Ach, wenn ich nur alleine schlief’!
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| Ich ließ’ dir gern heut nacht den Riegel offen;
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| Doch meine Mutter schläft nicht tief,
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| Und würden wir von ihr betroffen,
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| Ich wär’ gleich auf der Stelle tot!
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FAUST.
3510
| Du Engel, das hat keine Not.
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| Hier ist ein Fläschchen! Drei Tropfen nur
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| In ihren Trank umhüllen
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| Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.
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MARGARET.
| Was tu’ ich nicht um deinetwillen?
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| Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!
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FAUST.
| Würd’ ich sonst, Liebchen, dir es raten?
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MARGARET.
| Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
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| Weiß nicht, was mich nach deinem Willen treibt;
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| Ich habe schon so viel für dich getan,
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3520
| Daß mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt.
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| ( Ab .)
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| ( MEPHISTOPHELES tritt auf .)
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MEPHISTOPHELES.
| Der Grasaff ’! ist er weg?
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Ich hab’s ausführlich wohl vernommen,
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| Herr Doktor wurden da katechisiert;
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| Hoff’, es soll Ihnen wohl bekommen.
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| Die Mädels sind doch sehr interessiert,
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| Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
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| Sie denken: duckt er da, folgt er uns eben auch.
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FAUST.
| Du Ungeheuer siehst nicht ein,
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| Wie diese treue liebe Seele
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3530
| Von ihrem Glauben voll,
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| Der ganz allein
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| Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
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| Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.
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MEPHISTOPHELES.
| Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
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| Ein Mägdelein nasführet dich.
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