MEPHISTOPHELES.
| Die Zither ist entzwei! an der ist nichts zu halten.
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VALENTIN.
| Nun soll es an ein Schädelspalten!
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MEPHISTOPHELES
(
zu
FAUST
)
.
| Herr Doktor, nicht gewichen! Frisch!
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| Hart an mich an, wie ich Euch führe.
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| Heraus mit Eurem Flederwisch!
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| Nur zugestoßen! ich pariere.
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VALENTIN.
MEPHISTOPHELES.
VALENTIN.
MEPHISTOPHELES.
VALENTIN
| Ich glaub’, der Teufel ficht!
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3710
| Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.
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MEPHISTOPHELES
(
zu
FAUST
)
.
VALENTIN
(
fällt
)
.
MEPHISTOPHELES.
| Nun ist der Lümmel zahm!
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| Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
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| Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrei.
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| Ich weiß mich trefflich mit der Polizei,
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| Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.
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MARTHE
(
am Fenster
)
.
GRETCHEN
(
am Fenster
)
.
MARTHE
(
wie oben
)
.
| Man schilt und rauft, man schreit und ficht.
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VOLK.
| Da liegt schon einer tot!
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MARTHE
(
heraustretend
)
.
| Die Mörder, sind sie denn entflohn?
|
GRETCHEN
(
heraustretend
)
.
VOLK.
GRETCHEN.
| Allmächtiger! welche Not!
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VALENTIN.
| Ich sterbe! das ist bald gesagt
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| Und bälder noch getan.
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| Was steht ihr Weiber, heult und klagt?
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| Kommt her und hört mich an!
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| ( Alle treten um ihn .)
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| Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
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| Bist gar noch nicht gescheit genung,
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| Machst deine Sachen schlecht.
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| Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:
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3730
| Du bist doch nun einmal eine Hur’;
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| So sei’s auch eben recht.
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GRETCHEN.
| Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?
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VALENTIN.
| Laß unsern Herr Gott aus dem Spaß.
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| Geschehn ist leider nun geschehn,
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| Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.
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| Du fingst mit e i n e m heimlich an,
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| Bald kommen ihrer mehre dran,
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| Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
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| So hat dich auch die ganze Stadt.
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3740
| Wenn erst die Schande wird geboren,
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| Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
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| Und man zieht den Schleier der Nacht
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| Ihr über Kopf und Ohren;
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| Ja, man möchte sie gern ermorden.
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| Wächst sie aber und macht sich groß,
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| Dann geht sie auch bei Tage bloß,
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| Und ist doch nicht schöner geworden.
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| Je häßlicher wird ihr Gesicht,
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| Je mehr sucht sie des Tages Licht.
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3750
| Ich seh’ wahrhaftig schon die Zeit,
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| Daß alle brave Bürgersleut’,
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| Wie von einer angesteckten Leichen,
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| Von dir, du Metze! seitab weichen.
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| Dir soll das Herz im Leib verzagen,
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| Wenn sie dir in die Augen sehn!
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| Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
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| In der Kirche nicht mehr am Altar stehn!
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| In einem schönen Spitzenkragen
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| Dich nicht beim Tanze wohlbehagen!
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3760
| In eine finstre Jammerecken
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| Unter Bettler und Krüppel dich verstecken
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| Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
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| Auf Erden sein vermaledeit!
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MARTHE.
| Befehlt Eure Seele Gott zu Gnaden!
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| Wollt Ihr noch Lästrung auf Euch laden?
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VALENTIN.
| Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib,
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| Du schändlich kupplerisches Weib!
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| Da hofft’ ich aller meiner Sünden
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| Vergebung reiche Maß zu finden.
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GRETCHEN.
3770
| Mein Bruder! Welche Höllenpein!
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VALENTIN.
| Ich sage, laß die Tränen sein!
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| Da du dich sprachst der Ehre los,
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| Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
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| Ich gehe durch den Todesschlaf
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| Zu Gott ein als Soldat und brav.
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| ( Stirbt .)
|
DOM
Amt, Orgel und Gesang. Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.
BÖSER GEIST.
| Wie anders, Gretchen, war dir’s,
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| Als du noch voll Unschuld
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| Hier zum Altar tratst,
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| Aus dem vergriffnen Büchelchen
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3780
| Gebete lalltest,
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| Halb Kinderspiele,
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| Halb Gott im Herzen!
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| Gretchen!
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| Wo steht dein Kopf?
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| In deinem Herzen
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| Welche Missetat?
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| Betst du für deiner Mutter Seele, die
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| Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief?
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| Auf deiner Schwelle wessen Blut?
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3790
| —Und unter deinem Herzen
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| Regt sich’s nicht quillend schon
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| Und ängstet dich und sich
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| Mit ahnungsvoller Gegenwart?
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GRETCHEN.
| Weh! Weh!
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| Wär’ ich der Gedanken los,
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| Die mir herüber und hinüber gehen
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| Wider mich!
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CHOR.
| Dies irae, dies illa
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| Solvet saeclum in favilla.
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| ( Orgelton .)
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BÖSER GEIST.
3800
| Grimm faßt dich!
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| Die Posaune tönt!
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| Die Gräber beben!
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| Und dein Herz,
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| Aus Aschenruh
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| Zu Flammenqualen
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| Wieder aufgeschaffen,
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| Bebt auf!
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GRETCHEN.
| Wär’ ich hier weg!
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| Mir ist, also ob die Orgel mir
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3810
| Den Atem versetzte,
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| Gesang mein Herz
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| Im Tiefsten löste.
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CHOR.
| Judex ergo cum sedebit,
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| Quidquid latet adparebit,
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| Nil inultum remanebit.
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GRETCHEN.
| Mir wird so eng!
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| Die Mauernpfeiler
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| Befangen mich!
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| Das Gewölbe
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3820
| Drängt mich!—Luft!
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BÖSER GEIST.
| Verbirg dich! Sünd’ und Schande
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| Bleibt nicht verborgen.
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| Luft? Licht?
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| Weh dir!
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CHOR.
| Quid sum miser tunc dicturus?
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| Quem patronum rogaturus?
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| Cum vix justus sit securus.
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BÖSER GEIST.
| Ihr Antlitz wenden
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| Verklärte von dir ab.
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3830
| Die Hände dir zu reichen,
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| Schauert’s den Reinen.
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| Weh!
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CHOR.
| Quid sum miser tunc dicturus?
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GRETCHEN.
| Nachbarin! Euer Fläschchen!—
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| ( Sie fällt in Ohnmacht .)
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WALPURGISNACHT
Harzgebirg. Gegend von Schierke und Elend.
Faust, Mephistopheles
.
MEPHISTOPHELES.
| Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?
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| Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
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| Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.
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FAUST.
| So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
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| Genügt mir dieser Knotenstock.
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3840
| Was hilft’s, daß man den Weg verkürzt!—
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| Im Labyrinth der Täler hinzuschleichen,
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| Dann diesen Felsen zu ersteigen,
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| Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
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| Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!
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| Der Frühling webt schon in den Birken,
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| Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
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| Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken?
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MEPHISTOPHELES.
| Fürwahr, ich spüre nichts davon!
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| Mir ist es winterlich im Leibe,
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3850
| Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.
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| Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
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| Des roten Monds mit später Glut heran,
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| Und leuchtet schlecht, daß man bei jedem Schritte
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| Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!
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| Erlaub’, daß ich ein Irrlicht bitte!
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| Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
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| He da! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
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| Was willst du so vergebens lodern?
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| Sei doch so gut und leucht’ uns da hinauf!
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IRRLICHT.
3860
| Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen,
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| Mein leichtes Naturell zu zwingen;
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| Nur zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.
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MEPHISTOPHELES.
| Ei! Ei! Er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
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| Geh’ Er nur grad’, in ’s Teufels Namen!
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| Sonst blas’ ich Ihm Sein Flackerleben aus.
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IRRLICHT.
| Ich merke wohl, Ihr seid der Herr vom Haus,
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| Und will mich gern nach Euch bequemen.
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| Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
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| Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
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3870
| So müßt Ihr’s so genau nicht nehmen.
|