Polar City Blues (28 page)

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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»Dahin, wo Sie uns hingeschickt haben, Sir.«Ihre Stimme hört sich etwas unsicher an. »Auf dem Einsatzplan steht Nova-Station, Sir, und wir sollen dort einige Zivilisten treffen.«

»Genau so ist es, Sergeant.« Ganz kurz fragt er sich, warum er sich das alles von einem cleveren Computer bieten läßt, aber Buddy hat es so geschickt eingefädelt, daß er wie ein Idiot dastehen würde, wenn er nicht mitspielt. »Ich kann

Sie jetzt sehen und werde mich Ihnen anschließen. Ich habe beschlossen, mit Ihnen zu kommen.«

»Verstanden, Sir. Willkommen an Bord, Chief. Soll heißen, habe ganz und gar nichts dagegen. Scheint ja eine größere Sache zu sein.«

»Da dürften Sie recht haben.«

Auf halbem Weg um den Rand des Kraters für das Rehydrierungsprojekt mündet eine Nebenstraße in die Hauptstraße für die Gleiter. Kaum sind sie dort eingebogen, kann man schon den wunderschönen grauen Bentley sehen, der vor einer Reihe Kuppeln aus weißem Schaumstoff geparkt ist. (Dort ist die beeindruckende Formation von Antennen und Meßinstrumenten untergebracht, die rechtzeitig Alarm schlagen sollen, wenn der Rote Riese über Hagar etwa beschließen sollte, zur Nova zu werden.) Da Bates den Bentley nicht kennt, fragt er sich, ob vielleicht doch nicht Lacey hinter dieser Geschichte steckt; aber kaum ist der Konvoi gelandet, steigt sie aus dem grauen Gleiter und kommt auf ihn zu.

Mit ihrem entwaffnenden Schulmädchenlächeln reicht sie ihm die Hand.

»Ach, Chief, das freut mich aber! Daß Sie Ihre Meinung doch noch geändert haben!?«

Schon wieder dieses Dilemma: Entweder gibt er zu, daß Buddy ihn zum Narren gemacht hat und den Polizeicomputer nicht weniger, oder er spielt einfach mit. Er schüttelt ihre Hand.

»Prioritäten können sich ändern. Aber zur Sache: Wo steckt dieser verdammte Mulligan?«

Drittes Zwischenspiel: Die Beute

Den ganzen Nachmittag lang durchstreift Tomaso Porttown auf der Suche nach Mulligan. Weil er die Aura eines anderen Paras auch noch aus einer Entfernung von einem Kilometer identifizieren kann, war eigentlich zu erwarten, daß er ihn leicht finden würde. Doch seit Stunden schon ist ihm klar, daß er, der Mulligan nachjagt, der Gejagte ist. Das halbe Ghetto ist hinter ihm her. Wahrscheinlich wissen sie gar nicht, wer er ist, aber er hat genug fremde Gedanken aufgeschnappt, auch einiges an alltäglichem Geplapper, um zu verstehen, daß ein Mensch, den man den Bürgermeister von Porttown nennt, mehr als genug über ihn weiß. Zu viel, als daß er hier noch sicher wäre. Und nach allem, was er über Polar City erfahren hat, kann er sich denken, daß es besser für ihn wäre, von der Polizei geschnappt zu werden als von diesem dubiosen Bürgermeister. Schließlich waren Polizisten bestechlich. Er muß deshalb aufpassen, wohin er geht; die halbwegs gesitteten Bezirke von Porttown darf er nicht verlassen, denn hier hat er immer die Chance, sich unter die Passanten zu mischen oder in einem Lokal oder Laden zu verschwinden, der auch eine Hintertür hat. In den schlimmsten Gegenden Porttowns sahen es die Inhaber gar nicht gern, wenn jemand nur so durch ihren Laden schlüpfte, um jederzeit von Nutzen sein zu können.

Aber wo immer er geht, Vielfraß geht mit ihm. Seine Gier ist immer gegenwärtig, ein ständiges Gemurmel, ein Hintergrundrauschen in seinem Geist. Fressen, fressen nichts anderes. Ein Gieren und Sabbern beim leisesten Geruch nach Eßbarem; muffige Sojaburger, Lizzie-Chips - keine Imbißstube, an der er vorbeigehen kann, ohne daß es in seinem Kopf ärgerlich knurrt und protestiert.

Bis es schließlich eins wird mit seinem Haß und er sich

dabei ertappt, daß er die Passanten prüfend mustert und überschlägt, wie viele Scheiben Fleisch man wohl aus ihnen machen könnte. Ein Mörder, nun gut, aber doch kein Kannibale! Bei Sonnenuntergang ist Tomaso so aufgebracht über diese zwanghaften Phantasien von Lizzie-Keulen und gegrillten Menschenrippchen, daß er Vielfraß anfährt, er | solle schweigen oder er würde ihm mit Antibiotika und Laserskalpellen auf den Leib rücken. Es sind natürlich telepathische Drohungen, doch muß er zu seinem Entsetzen feststellen, daß die beiden jungen Lizzies, die ihm in der Sackgasse entgegenkommen, ihn anstarren: Er hat laut gesprochen.

Er hört sofort damit auf und bleibt stehen. Er lehnt sich gegen die Mauer aus Ziegelimitation und hebt die Arme, starrt auf die Hände und versucht scheinbar, mit größter Anstrengung die Fingerspitzen aneinanderzulegen. So kann man es häufig bei Geisteskranken sehen, die mit Psychopharmaka behandelt werden. Das Theater scheint die Lizzies überzeugt zu haben, er hört dieses zischende Hecheln, das einem menschlichen Kichern entspricht; sie laufen die Gasse hinunter und verschwinden um die Ecke. Tomaso bleibt an die Wand gelehnt stehen, sein Atem geht schwer, bis er sich wieder in der Gewalt hat. Er versucht, Vielfraß zu ignorieren, der jetzt etwas von Äpfeln und frischem Grünzeug wispert, die ganz nahe sein müssen. Hinter der Mauer vielleicht. Mit einem Ruck richtet Tomaso sich auf und ist hellwach, er erinnert sich: Als er die Psi-Blockade in Jack Mulligans Geist aufgebaut hat, da umschwirrten ihn ständig Erinnerungsfetzen über einen Garten, einen grün wuchernden Gemüsegarten mitten in Porttown. Am Ende der Gasse klappert ein 3-D-Ladenschild im Wind:
A-bis-Z-Unternehmungen.

Er konzentriert sich und richtet seine Antennen auf dieses Gebäude. Ja, eine schwache Andeutung von Mulligans Aura, aber sehr alt und überlagert von der zweier anderer Paras, eine davon auch stark verblaßt, die andere jedoch prä-

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sent. Mulligan hat sich zweifellos vor einiger Zeit hier aufgehalten. Aber jetzt ist er weg. Der anwesende Para, obwohl etwas schwächlich und ganz ungeübt, bemerkt ihn plötzlich: Er fühlt das Mißtrauen, dann den Schreck, der eine Welle von Haß auslöst. Hastig schützt er sich mit einer Sperre und läuft davon. Von der Gasse gelangt man auf die Straße zum Raumhafen, doch geht er in die andere Richtung. Von den Toren des Hafens wird er sich fernhalten, was er jetzt am wenigsten brauchen kann, ist irgendein Uniformierter, der nach seinen Papieren .fragt - nicht, daß seine Papiere nicht über jeden Zweifel erhaben waren, aber man würde ihm nahe genug kommen, um den Essiggestank zu bemerken, der ihn wie eine Wolke umgibt.

Noch immer kann er diesen wachsamen Geist spüren (es scheint eine Frau zu sein), der sich in dem Haus aufhält. Er nähert sich nun von der anderen Seite und findet schließlich wieder eine Gasse, die zu der Ziegelmauer führt. Oben auf der Mauer ist keine Alarmvorrichtung zu sehen, doch steckt in seiner Hemdtasche ein kleines Täfelchen, getarnt als Kreditkarte, das auch schwache elektromagnetische Felder und Ultraschallpulse aufspüren kann. Er fühlt die Wärme, die es ausstrahlt: das Alarmsignal.

Bei der verrosteten Tür auf der Laderampe zögert er; noch während er nach dem unter seinem rechten Ärmel versteckten Ultraschalldietrich greift, fragt er sich, ob es das Risiko überhaupt lohnte. War es nicht viel zu gefährlich, diese Para da drinnen zu töten? Doch bevor er den Dietrich hervorgeholt hat, spürt er das unbeholfene Signal von John Hancock, der über den kleinen Psi-Verstärker spricht, den er im Rattennest zurückgelassen hat.

Großer und allmächtiger Gott, dein Diener ruft zu dir. Erbarme dich meiner und erhöre mein Gebet.

Dein Gott und Herr erhört dich. Was, zum Teufel, ist jetzt wieder los?

Allmächtiger Gott, wir haben einen deiner Feinde gefangen. Ein blonder Weißer, war hier im
Rattennest. Ein Polizeispitzel, Freund von Dr. Carol.

Wohl nie zuvor war ein Gott mehr erfreut über das Opfer eines seiner Diener. Ein Blutsopfer, denkt Tomaso, das würde es wohl werden: Es mußte dieser Mulligan sein!

Der Herr dein Gott ist gnädig. Mit Wohlgefallen nimmt er dein Opfer an. Endlich hab ich diesen
Spion. Was möchtest du als Belohnung? , Whisky, o Herr, gib uns Whisky!

Manna, du Esel, es heißt Manna. Gott gibt keinen albernen Whisky.

Herr der Heerscharen, ich knie vor dir. Manna, ja.

Hinter sich hört Tomaso ein leises Knirschen, eine Stiefelsohle auf Plastbeton. Das Messer ziehen und auf dem rechten Bein herumwirbeln ist eines; vor ihm stehen zwei Männer in Sonnenpelerinen. Sie mustern ihn. Einer hat die rechte Hand aus dem Schlitz seines Umhangs geschoben, sie hält die graue Trichtermündung eines Streulasers auf ihn gerichtet.

»Was ihr tut, tut ihr richtig, hab' ich recht?« sagt Tomaso.

»Der Bürgermeister will dich sehen, Kleiner. Laß das Messer fallen.«

Statt dessen macht Tomaso einen Satz zur Seite, von der Laderampe herunter, und rollt auf dem Boden ab. Mit der Linken stößt er dem Mann mit dem Laser das Messer in den Rücken, mit der Rechten zieht er seine Pistole und feuert. Der Streulaser streift ihn, versengt die Pelerine; sie beginnt zu brennen.

Doch hat er mit seinem scharf gebündelten Laser den anderen Mann zu Fall gebracht.

Sicherheitshalber macht er noch eine Rolle und feuert ein zweites Mal, als er wieder auf die Beine kommt. Ohne die Hitze und die rasenden Schmerzen an seiner Seite zu beachten, bohrt er mit dem Strahl ein Loch in den Helm des Mannes, der schreiend auf der Straße liegt. Inzwischen ist der Rauch seiner brennenden Pelerine bis in den Helm gestiegen. Er bekommt keine Luft mehr, er würgt, doch kann er die Panik überwinden, seine Hände zur Ruhe zwingen; gerade rechtzeitig kann er den Helm vom Kopf ziehen und mit dem brennenden Gewebe zu Boden werfen. Ein letztes Aufflammen, eine letzte schwarze Qualmwolke in dem rosa Dämmerlicht ein wahres Leuchtfeuer, das mehrere Straßen weit zu sehen ist. Hustend und schwankend geht er zurück zu dem Toten, um sein Messer zu holen. Als er es herauszieht, schießt ihm ein Strahl Blut entgegen.

NEIN!!

Ein Gefühl, kein Wort. Aber es brennt in seinem Geist, weit schmerzhafter als die verbrannte Haut.

Vielfraß möchte die Toten haben, möchte sich in ihrem Blut wälzen, und so stark wird diese Vorstellung, daß sie ihn die Kehle eines der Männer aufschlitzen läßt, bevor er sich noch zurückhalten kann. Es sind seine infizierten Hände, die in das rote Blut eintauchen möchten.

»Nein! Ich will nicht!«

Er hält den Atem an, wieder hat er laut gesprochen. Er würgt, während er da steht, ohne erbrechen zu können. Die verletzte Seite pocht, es stinkt nach verbranntem Fleisch und Stoff. Hinter ihm hüstelt es plötzlich.

Das blutige Messer noch immer in der Hand, fährt Tomaso herum und muß feststellen, daß er beobachtet wurde. In einer Türnische sitzt ein alter Mann mit einem spitzen, hohlen Schädel, in einem viel zu weiten Hemd und schmutzigen Shorts. Die dunkel verbrannten Beine sind spindeldürr, die bloßen Füße mit Schwielen und Beulen übersät.

»Wie lange sitzt du hier schon?« Tomasos Stimme ist heiser vor Wut, doch ist er nur wütend auf sich selbst - daß er so tölpelhaft sein konnte, einen Zeugen zu übersehen, der nicht weiter als fünf oder sechs Meter entfernt saß und nicht einmal ein Para war.

»Lange genug.«

Die alten Augen, tief in den Höhlen und von zahllosen Falten umgeben, mustern ihn gelassen, als er hinübergeht und mit dem Messer ausholt. Kein Blinzeln, keine Regung, ein völlig kaltes Beobachten.

Tomaso zögert.

»Fressen und gefressen werden.« Die brüchige, dünne

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Stimme bleibt ganz ruhig, als ginge es um alltägliche Dinge, vielleicht Baseballergebnisse. »Das Rad des Lebens und des Todes dreht sich immerzu, und letzten Endes geht es um nichts als Fressen und Gefressenwerden.«

»Was meinst du damit?«

»Nada.«

Wieder zögert Tomaso, schmerzhaft ist ihm bewußt, daß er keine Zeit zu verlieren hat, daß er den alten Mann töten muß, den einzigen Zeugen. So schnell wie möglich muß er zum Rattennest. Die braunen Augen sind fest auf ihn gerichtet.

»Ach, Scheiße!« Tomaso dreht sich um und läßt den Alten unbehelligt.

Als er die Gasse hinunterläuft, brennt seine Seite wie Feuer, doch läßt der Schmerz allmählich nach.

Angenehme Kühle breitet sich über der Wunde aus. Vielfraß ... mit einem Mal wird ihm klar, daß Vielfraß das verbrannte Gewebe verzehrt und eine kühlende, schmerzstillende Flüssigkeit ausscheidet.

Er bleibt stehen. Keuchend ringt er nach Luft, während Vielfraß seine Arbeit tut. Als er sich umschaut, ist der alte Mann verschwunden, wahrscheinlich zum nächsten Telefon, um diesen Bürgermeister von Porttown zu benachrichtigen.

Am besten würde er jetzt zur Botschaft der Allianz laufen, sagt sich Tomaso. Er weiß nun, daß er versagt hat, weiß, daß er Zuflucht suchen muß bei den
Meistern.
Die letzte Chance, sein Leben zu retten, obwohl auch das nicht sicher ist: Die H'Allevae mögen es nicht, wenn man versagt. In einen der hinteren Backenzähne hat man ihm eine Kaverne gebohrt, dort wartet ein Quantum Gift, wie die Likörfüllung einer Praline. Ein kleiner Happen vor dem langen Tod. Als er mit der Zunge über den Zahn spielt, spürt er, wie Vielfraß giert bei der Aussicht, seinen ganzen Körper in einer letzten Freßorgie verschlingen zu können, bevor es auch mit ihm zu Ende geht. Er haßt ihn, er hat ihm das Blut der Opfer verweigert, hat seine Hände nicht darin gebadet und ihn so um die 246

Möglichkeit gebracht, sich über ihre Körper auszubreiten und vielleicht weiterzuvermehren. So ist er mit ihm zum Untergang verdammt.

Die Stimme des kleinen Jungen gellt ihm in den Ohren. Er schaut auf seine Hände, die bluten müßten von den Schlägen gegen die stählerne Tür; aber es sind noch immer die schweren, muskulösen Hände eines Mannes, der gelernt hat zu töten - auf jede erdenkliche Art. Er ist nicht mehr in diesem Zimmer mit dem endlos plätschernden Wasserfall, er ist frei. Nie wieder wird er dorthin zurückkehren. Das weiß er, das schwört er sich.

Und fast lautlos beginnt er zu lachen, über einen Witz, den niemand sonst verstehen kann: Sein Leben lang war er allein, tatsächlich, aber mit seinem Sterben wird es anders sein.

Als der auf so unübliche Weise zustandegekommene Polizeikonvoi sich in Richtung Rattennest in Bewegung setzt, schaltet Bates den Autopiloten ein, der die Steuerbefehle vom vorausfahrenden Transporter übernimmt. Er hat jetzt zu telefonieren. Zuerst tippt er Akelis Code ein, denn aus leidvoller Erfahrung weiß er, daß der ihn zuerst einmal warten lassen wird, bevor er sich meldet, wie dringend die Sache auch sein mag. Er ist angenehm überrascht, als nach wenigen Sekunden das Telefon piept und Akelis Gesicht auf dem Bildschirm auftaucht.

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