Polar City Blues (12 page)

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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Als er das kleine, ärmliche Zimmer betritt, ist der Geruch noch stärker geworden. Er wirft die Sonnenpelerine auf das Bett, kickt seine Stiefel über den Boden und zieht den rotbraunen Overall aus.

Das seidenartige Gewebe ist sehr dicht, so daß er den ganzen Tag tüchtig schwitzen mußte -und jeder Tropfen Schweiß scheint nach Essig zu riechen, mit einem kleinen Hauch von Parfüm. Sallys Parfüm.

Er wirft den Overall auf den blaugekachelten Fußboden des Bads, das kaum größer als ein Kleiderschrank ist - bloß nicht auf den Teppichboden des Zimmers, damit er nicht den Geruch annimmt. Aus seiner Reisetasche holt er einen Plastikbeutel; der Overall läßt sich zu einem kleinen und leichten Bündel zusammenrollen und paßt mühelos in den Beutel. Später würde er sich seiner entledigen.

Die Dusche und viel Seife haben den Geruch verschwinden lassen; er fühlt sich gut jetzt, ist so entspannt, wie er eigentlich immer ist. Sallys Gesicht hat er schon beinahe vergessen, und
die
Wut hat jedes Gefühl des Bedauerns überdeckt. Er zieht sich an, graue Shorts und ein weißes Hemd, und stellt fest, daß er immerzu ans Essen denkt. Nicht, daß er hungrig wäre - nein, es sind nur flüchtige Bilder: Beißen, Kauen, Schlucken, die ihm immer wieder durch den Kopf gehen. Als er sich darauf konzentriert, bemerkt er, daß er ein Psi-Signal empfängt. Es kommt aus nächster Nähe. Er 107

setzt sich auf die Bettkante, er öffnet sich den Signalen, die auf ihn eindringen. Wer oder was auch immer dies sendet, es ist ein so primitives Wesen, daß es nicht einmal über Worte zu verfügen scheint.

Nur Bilder gehen von ihm aus und dumpfe, wirre Sinneseindrücke, die nur von Essen, Schlucken, Verdauen handeln. Das Zimmer ist doch leer, hier ist niemand außer ihm aber dieses Wesen ist nah, sehr nah. Dieser Vielfraß, er schmatzt, knirscht mit den Zähnen. Die Unersättlichkeit in Person.

Das erste Mal seit vielen Jahren fühlt er Panik aufsteigen, kalte Finger auf seiner Haut oder sind es Zähne, die an ihm nagen? Er blockt den Gedanken ab, dieses verdammte Bild, was für ein Unsinn ...

Kauen, Saugen, Schlucken, diese ewige Suche nach Nahrung ... Lange genug hat er trainiert, seinen Geist zu kontrollieren. Nichts zu fühlen, wenn es sein mußte, nichts sich vorzustellen, nichts zu formulieren, nur an seinen Atem zu denken und sonst nichts. Aber jetzt erscheint ihm sein Atmen wie Essen, ein Verschlingen von Luft, ein Einsaugen und Verdauen von Sauerstoff. Die Panik bemächtigt sich seines Verstandes. Mit einem lauten Fluch springt er auf die Füße, doch auch der Fluch beschreibt nichts anderes als die Tätigkeit der Verdauung, die Ausscheidung. Das äußere, sichtbare Resultat der unsichtbar im Körper ablaufenden Verdauung.

Das Signal wird stärker. Er zittert nun, ganz allein in diesem Zimmer mit dem abgewetzten Teppichboden, den Purpurblumen auf den Vorhängen, die die Stoffbahnen hinunterrieseln zu scheinen, ohne sich doch zu bewegen. Der Essiggeruch ist wieder da.

Er weiß es noch nicht, aber alle Umstände, die es braucht, sind eingetreten, daß der Wahnsinn Besitz von ihm ergreifen kann.

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Von Laceys Anruf erfährt Bates erst eine Stunde vor Sonnenuntergang, als er in sein Büro zurückkehrt; er hat sich nicht nehmen lassen, den Autopsiebericht über Ward eigenhändig beim Gerichtsmediziner abzuholen. Eigentlich hat er vorgehabt, ein wenig zu schlafen, doch öffnet er statt dessen die mit einer Sperre versehene Schreibtischschublade und nimmt sich einige von den verbotenen Pillen ein Überbleibsel von jenem Schlag gegen einen Drogenring, einige Monate zurück.

Das wird genügen, ihn für den jetzt beginnenden Arbeitstag wach und bei Konzentration zu halten. Er spült sie mit Mineralwasser hinunter und bespricht sich mit dem Mann in der Einsatzzentrale.

»Okay, Ricardo. Ich muß da einer Sache nachgehen, bei A-bis-Z-Unternehmungen. Das ist in einer Seitenstraße der D-Straße, gleich bei den Toren zum Raumhafen.«

»In Ordnung, Chef. Ich werde alle Meldungen an Ihr tragbares Terminal durchgeben.«

Während er in Richtung Porttown fährt, fragt er sich, ob es richtig ist, sich an Lacey zu wenden. Er haßt es, Lacey fragen zu müssen weil ihre Hilfe so nützlich ist, daß er sie nicht über Gebühr beanspruchen möchte. Er weiß auch genau, daß sie auf die Polizei nicht gut zu sprechen ist und möglicherweise jede weitere Zusammenarbeit verweigert, wenn er ihr lästig wird. Außerdem - wenn sich herumsprechen sollte, daß sie der Polizei Tips gibt, dann würde ein guter Teil ihrer Quellen versiegen. Auf der anderen Seite geht es um Mulligan, einen Freund von ihr, und er kann auf die Gefahr hinweisen, in der er schwebt, wenn sie sich sträubte.

Als er beim Lagerhaus angekommen ist, führt Nunks ihn gleich herein und bringt ihn durch den Garten zur Treppe von Laceys Wohnung. Durch das üppig wuchernde Grün zu spazieren ist erholsam, verschafft ihm eine kleine Atempause. Ein Glück, daß die meisten denkenden Wesen ganz 109

andere Interessen als Mord und Totschlag haben ... Am anderen Ende des Gartens erblickt er ein atemberaubend schönes Mädchen, ein Purpurschimmer auf dem Haar, das eifrig damit beschäftigt ist, Tomatentriebe an Drähten zu befestigen. Bates bleibt stehen, kann den Blick kaum abwenden von ihr, doch Nunks läßt ein leises Brummen hören und drängt ihn mit unwirscher Geste, weiterzugehen.

»Schon gut, mein Lieber«, sagte Bates, »ich habe kapiert. Ich soll sie in Ruhe lassen ... Ein Jammer.«

Nunks' Brummen wird zu einem bösen Knurren, und Bates läßt das Thema fallen.

In einer Ecke von Laceys Wohnzimmer schnarcht Mulligan vor sich hin; wie ein Bündel schmutziger Wäsche liegt er auf dem Fußboden. Nur kurz fragt sich Bates, wie ein menschliches Wesen derart zusammengekrümmt schlafen kann, dann wendet er sich Buddy zu, der ihn anblinkt und summt, denn seine Butler-Funktion ist jetzt aktiviert.

»Guten Abend, Chief Bates. Ich habe Laceys Wecker eingeschaltet, sie wird gleich hier sein. Bedienen Sie sich doch an der Bar, wenn Sie möchten.«

»Danke, Buddy, diesmal verzichte ich. Hat sie dich beauftragt, etwas über diesen Carli-Mordfall herauszufinden?«

»Meine Programmiererin hat mich nicht ermächtigt, darüber zu sprechen.«

»Klar. Erst will sie sich ein Pfund von meinem Fleisch herausschneiden, nicht?«

Buddy blinkt ganz aufgeregt.

»Ich denke nicht, daß meine Programmiererin zum Kannibalismus neigt.«

»War nur ein Scherz. Vergiß es ... Kannst du mir sagen, ob Mulligan schon lange hier ist?«

»O ja, das sind keine vertraulichen Daten. Er ist hier, aktiviert und inaktiviert, seit insgesamt neunundzwanzig Stunden.«

»Gut. Wenn er aufwacht, dann laß ihn nicht gehen.«

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»Meine Programmiererin hat mir einen ähnlichen Befehl gegeben.«

In diesem Moment kommt Lacey aus ihrem Schlafzimmer geschwankt, die Haare wie Stroh nach allen Richtungen, die Augen rotumrandet.

»Keine Zeit zum Schlafen, Lacey?«

»Nur zwei Stunden, höchstens zweieinhalb. Setzen Sie sich, Chief. Mulligan scheint das Sofa ja nicht mehr zu brauchen.«

»Schläft er immer wie so ein Gummiakrobat?«

»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen?«

»Ach, Entschuldigung ... So hab' ich's nicht gemeint.«

Sie wirft ihm einen wirklich bösen Blick zu und stolpert zur Bar hinüber, dreht den Wasserhahn auf und benetzt sich das Gesicht. Und Bates verflucht sich im stillen für seine Taktlosigkeit. Das mußten die Hyperpillen sein, die nun langsam zu wirken begannen.

»Was kann ich für Sie tun, Chief?« Sie kommt zurück und läßt sich auf den Lehnstuhl vor ihrem Schreibtisch fallen. »Geht es um die beiden Carli-Morde?«

»Genau das. Aber inzwischen gibt es noch eine Leiche, diesmal ein Mensch. Einer meiner besten Beamten, verdammt!«

»Tut mir leid für Sie.« Nun schwingt Mitgefühl in ihrer Stimme, ebenso spontan und echt wie ihre Verärgerung eine Minute zuvor. »Einen guten Mann zu verlieren ist hart.«

»Ja, das ist es.« Er blickt zur Seite. »Ich werde Sie nicht fragen, was Sie wissen, und auch nicht, woher Sie es wissen.«

»Gracias. Dann können wir vielleicht ins Geschäft kommen. Ich denke, daß das der Grund für Ihren Besuch ist.«

»Ja sicher, aber ich kann nicht handeln, was den Preis angeht. Wir haben feste Tarife für unsere Informanten.«

»Oh, an so etwas Gewöhnliches wie Geld habe ich gar nicht gedacht.«

»Woran denn sonst?«

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Sie wirft ihm ein kurzes, belustigtes Lächeln zu, das sie wie eine Fünfzehnjährige aussehen läßt. "

»Es genügt mir vorerst, wenn Sie in meiner Schuld stehen. Ich werde dann bei Gelegenheit darauf zurückkommen.«

Nun ist die Falle zugeschnappt. Bates zögert. Wenn er etwas überhaupt nicht mag, dann ist es so ein Damoklesschwert über seinem Kopf; aber weigert er sich, dann könnte sie ihn abblitzen lassen.

»Nun ... Dann machen wir es auf diese Art. Wissen Sie, was Ihr Problem ist, Lacey? Sie langweilen sich, seit Sie im Ruhestand sind. Warum, in aller Welt, kommen Sie nicht zu meiner Truppe, da gibt's Arbeit genug.«

»Vielleicht tu ich das eines Tages. Also, was wollen Sie wissen?«

»Das weiß ich noch nicht so genau, am besten fangen wir mit Sally Pharis an. Sie ist möglicherweise eine wichtige Zeugin.«

»Ach ja, Buddy hat mir gesagt, daß Sie um ihr Leben fürchten. Haben Sie sie gefunden?«

»Nein, wir haben nicht die geringste Spur von ihr.«

»O nein ... Herr im Himmel.«

»Genau das meine ich, verdammt.«

»Gut, dann wäre es das beste, wenn ich mich auf die Suche nach ihr mache.«

»Ich habe gehofft, daß Sie das sagen werden, genau das. Auch Mulligan steckt mit drin, doch dürfte er hier einigermaßen sicher sein. Nunks würde bestimmt niemanden hereinlassen, der seinem Freund gefährlich werden kann.«

»Außerdem kann Mulligan auch selbst spüren, wenn jemand hinter ihm her ist. Aber was ist mit Ihrem Beamten passiert?«

Es schmerzt, darüber zu reden, doch Bates erzählt die Geschichte ruhig und ohne Stocken und läßt auch die Feststellung des Gerichtsmediziners nicht aus: daß der Täter ungewöhnlich kräftig sein mußte, um die Kehle mit einem Schnitt so tief aufzuschlitzen. Und dann kommt er in Fahrt 112

und berichtet Lacey alles, was er über den Fall weiß. Während er redet, huschen ihre Finger über diese altmodische Vorrichtung, eine Tastatur. Der Bildschirm läßt merkwürdige Lichtreflexe über ihr Gesicht tanzen.

»Haben Sie das Fernsehen informiert? Kommt es in den Abendnachrichten?« fragt sie schließlich.

»Am hellen Tag sind nicht viele Leute unterwegs, und dieser Killer müßte doch aufgefallen sein, madre! Was für eine Methode, Leute umzulegen! Wer ihn gesehen hat, wird ihn in Jahren nicht vergessen, das wette ich.«

»Für den Rest seines Lebens nicht! Ich frage mich, ob es einen Grund gibt, daß er ausgerechnet ein Messer benutzt ... Es ist lautlos, aber das sind die Laser des Militärs auch, und ich bezweifle nicht, daß man sie auf dem Schwarzen Markt kaufen kann, wenn man die richtigen Verbindungen hat.«

Lacey lächelt kurz und wendet sich wieder dem Bildschirm zu.

»O Mann!« sagt sie unvermittelt. »Danke, Buddy.« Sie dreht sich zu Bates. »Er hat mich gerade an etwas erinnert, das vielleicht wichtig ist. Sie erinnern sich an Mulligans Anfall? Als er versuchte, bei dieser ersten Leiche zu
lesen?«
»Sicher. Hat Buddy herausgefunden, was schiefging?« »Er hat ins Schwarze getroffen. Ist über eine Veröffentlichung des Nationalen Parapsychologischen Instituts gestolpert, in der zu lesen ist, daß es nicht ausgeschlossen ist, direkt auf die Psi-Fähigkeiten anderer Paras einzuwirken, sie zu blockieren und auch noch die Erinnerung an die Blockade auszulöschen.

Mulligan konnte sich nicht an das geringste erinnern, als er zu sich kam.«

»Du lieber Himmel! Aber muß nicht jemand ziemlich nahe sein, um so auf einen anderen Para einwirken zu können?« »Verdammt nahe. Nicht weiter als irgendein Gaffer in der Menge um den Tatort.«

Bates läßt einen knappen, aber um so unbeschreiblicheren Fluch hören. Als sein Blick auf Mulligan fällt, bemerkt er,

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daß er wach geworden ist und sich aufsetzt, um ihnen zuzuhören. Sein Gesicht ist totenblaß, die Augen geweitet wie die eines staunenden Kindes.

»Versuche mich zu erinnern, wissen Sie«, sagt er. »Es schmerzt höllisch.«

»Ja, Buddy hat gesagt, daß das die Folge der Blockade ist.«

»Dann muß es jemand sein, der seinen Eid gebrochen hat.« Mulligan wird ganz aufgeregt. »Ich meine: Wenn man registriert wird, muß man die Eidesformel unterschreiben. Und der erste Satz heißt, daß man nie jemanden durch seine Psi-Fähigkeiten verletzen wird.«

»Als ob einer, der rumläuft und Kehlen durchschneidet, sich wegen eines lausigen Eids den Kopf zerbrechen wird«, sagt Bates schroff, und sofort tut es ihm leid, als er sieht, wie Mulligan zusammenzuckt. »Nun, jedenfalls scheint es ein einzelner zu sein und keine ganze Bande.«

»Ja, aber ich glaube, Mulligan ist da einer wichtigen Sache auf der Spur, Chief. Sehen Sie, dieser Aufsatz aus dem Parapsychologischen Institut ist doch sehr theoretisch, jedenfalls keine Gebrauchsanweisung. Das könnte doch heißen, daß wir es mit einem Para zu tun haben, der nicht hier in der Republik ausgebildet wurde?« . »Wo dann? Auf einem Planeten, von dem wir noch nie gehört haben bei den kleinen grünen Männchen vielleicht? Das wird ja immer schöner! ... Tut mir leid, ich hab' diesen Tag kein Auge zugemacht, ich wollte euch nicht kränken.«

»Kein Schlaf und eine Purpurpille, hab' ich recht?« Lacey wirft ihm ein Lächeln zu. »Da sollte man ein bißchen vorsichtig sein, Chief. Es hat doch sicher einen Grund, daß sie verboten sind, nicht wahr?«

Bates macht ein finsteres Gesicht.

»Aber zur Sache«, fährt Lacey fort, »es macht Sinn: ein Mörder mit Psi-Fähigkeiten. Das ist der Grund, warum er die Leiche mitten auf der Plaza zurückgelassen hat; sie sollte rasch gefunden werden, so hatte er auch Gelegenheit, den

von der Polizei herbeigerufenen Para zu manipulieren. Ich meine, je länger er sich dort aufhielt, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, daß er jemandem auffiel. Also mußte der Tote möglichst bald entdeckt werden. Und da kam auch schon der arme Ward, gab Alarm, dann tauchte Mulligan auf -

besser konnte es gar nicht funktionieren. Er versetzte Mulligan diesen Schock und verschwand dann in der Menge. Und Sie standen da und trauten sich nicht, einen anderen Para an diese riskante Sache ranzulassen.«

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