Authors: Katharine Kerr
»Sind sie nicht!« sagt Del in einem Anflug verzweifelten Muts. »Sind hier langgegangen.«
»Nunks?«
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Nunks zeigt in die Richtung, die Lacey angegeben hat.
»Hör mal, Kleine«, wendet sie sich an Del. »Wenn ich du wäre, würde ich mich schleunigst hier verziehen und mich der Polizei ergeben.«
Del greift nach einem zerbrochenem Stück Geschirr auf dem Boden und wirft es in Laceys Richtung.
Lacey duckt sich, während sie den anderen voran zum Tunnel geht. Und wieder laufen sie; sie schaltet das Funkgerät im Helm ein. Irrt ersten Kanal hört man nichts als Stimmengewirr, Gruppenführer, die ihre Positionen durchgeben und um Anweisungen bitten oder das umliegende Gelände beschreiben.
Auf dem zweiten hört sie jedoch neben einem Rauschen Bates' dröhnende Stimme, der mit einem Sergeant Nagura spricht.
»Was soll das heißen, eine Bewegung?« sagte Bates. »Ist dort jemand, ja oder nein?«
»Ich weiß nicht, Chief.« Es ist eine Frauenstimme, die ihm antwortet. »Alles, was wir sehen können, ist etwas, das zu dem alten Kontrollraum hinaufklettert. Vielleicht ist es nur ein Hund oder so etwas.
Hier draußen gibt es Tiere.«
»Mist.« Es klingt beleidigt. Vielleicht mag Bates Hunde nicht. »Okay, behalten Sie es im Auge und sehen Sie zu, daß sie etwas Deckung haben.«
»Wird gemacht, Chief. Ende.«
»Bates?« Lacey meldet sich rasch, bevor er ausschalten kann. »Hier ist Lacey.«
»Wird auch Zeit, verdammt. Wo haben Sie bloß gesteckt?«
»Wir haben eine Spur verfolgt. Wir wurden leider etwas abgelenkt. Hören Sie, wir haben herausgefunden, wo sie Mulligan gefangen hielten, aber er ist nicht mehr da. Ich weiß nicht, wo sie ihn hingeschafft haben, aber diese Frau hier plappert etwas von Gott.«
»Himmel, was haben Sie erwartet? Hier sind doch alle übergeschnappt. Haben Sie eine neue Spur gefunden?«
»Ja eine ziemlich frische, dem Infrarotbild nach zu urteilen.«
»Gut, dann machen Sie weiter. Aber halten Sie mir diesen 264
Kanal frei, ja? Es ist die Kommandofrequenz, und ich hab' sie ständig auf dem einen Ohr.«
»Okay, Chief, wird gemacht.«
Nach weiteren vierzig Schritten ändert sich der bisher einfache Grundriß des unterirdischen Komplexes, er wird zum Labyrinth: schmale Durchlässe, größere Räume, meist rund, endlose Reihen von Türen. Aber immer ist da diese eine Spur, die heller leuchtet als jede andere bis auf jene natürlich, die sie selbst zurücklassen, denn auch ihre eigene Körperwärme bleibt nicht ohne Wirkung.
Sie laufen, und Lacey fühlt die heftigen Schläge ihres Herzens. Aber es ist nicht nur das Laufen.
Irgendwie war ihr nicht klar gewesen, daß Mulligan Verrückten in die Hände gefallen war, wirklich Verrückten, die ihn aus einer Augenblickslaune heraus töten konnten. Als Nunks sie an der Schulter berührt, fährt sie herum und hätte vor Schreck und Elend fast auf ihn geschossen.
»Was, zum Teufel ...«
Nunks schwengt seine Arme, zeigt schließlich den Tunnel hinunter, in die Richtung, die sie laufen.
»Es kommt jemand«, sagt Sam, »hör mal.«
Weit ab hört man Männerstimmen, Menschen, aber auch ein Lizzie scheint dabei zu sein; es ist ein munteres Geplapper. Lacey deutet mit der Pistole auf eine Tür in der anderen Tunnelwand, und Sam schlüpft hinein. Sie selbst tritt in einen Raum auf ihrer Seite und winkt Nunks zu sich herein. So warten sie, während die Stimmen langsam näher kommen und mit ihnen der scharfe Geruch ungewaschener Körper.
»Whisky und Schnaps, Whisky und Schnaps, gib mir 'nen Whisky, oder ich krieg 'nen Klaps!« singen sie jetzt, ein reichlich unsauberer Chor, doch tut das ihrer Begeisterung keinen Abbruch. Immer wieder erklingt der Vers.
Da ist noch ein metallisches Geräusch; etwas rumpelt und dröhnt den Korridor entlang, und als sie um die Ecke biegen, sieht Lacey eine rotlackierte Schubkarre, auf der Pla-265
stikkanister mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit aufgetürmt sind offensichtlich der Whisky, von dem die Rede ist. Lacey gibt Sam ein Zeichen, dann treten sie aus dem Versteck, den Laser schußbereit, und stellen sich den drei Kerlen in den Weg. Sie kreischen auf und bleiben wie angewurzelt stehen; der Lizzie läßt die Griffe der Schubkarre los, daß sie mit einem Knall aufsetzt.
Einer der Kanister kullert herunter und bleibt schwabbelnd liegen.
»Ein Überfall!« schreit der Schwarze. »Sie wollen uns ausrauben, John!«
»Halt's Maul, wilder Mann.« Der rothaarige Weiße scheint der Anführer zu sein. »Sie haben Pistolen, und wir nicht.«
»Wir wollen nicht euren stinkenden Whisky«, sagt Lacey. »Was habt ihr mit Mulligan gemacht?«
»Wer?«
»Der blonde Weiße. Del hat gesagt, ihr hättet ihn Gott verkauft.«
»Mulligan heißt er, ja? Wir haben ihn Gott verkauft, genau wie Del gesagt hat. Haben ihn mit dem Fahrstuhl in den Himmel geschickt, und mit dem anderen kam das Manna von oben runter.«
Zuerst überläuft sie ein kalter Schauer, dann steigt die Wut in ihr auf, daß sie für einen Augenblick kaum noch weiß, was sie tut und erst als John Hancock der Schweiß übers Gesicht läuft, bemerkt sie, daß sie unwillkürlich den Laser gehoben und auf ihn gerichtet hat.
Hat doch keinen Sinn, diesen armen
Schmutzfinken umzulegen, Mädchen er kann nichts dafür.
Mit einem tiefen Atemzug läßt sie die Pistole sinken, und John stöhnt leise; offenbar ist er noch klar genug im Kopf, um zu wissen, wann es ernst wird.
»Und wo ist dieser komische Fahrstuhl zum Himmel?« kommt es von Sam, es ist mehr ein Knurren.
»Dort entlang, Sir«, stammelt John, dem die Furcht in den Knochen steckt, und zeigt zu einem Nebentunnel. »Genau da, aber Gott ist nicht mehr da. Wir haben gehört, wie er gegangen ist.«
Genau in diesem Augenblick ertönt Bates' Stimme in Laceys Helmlautsprecher. Sie klappt das Ohrstück in die Höhe, damit Sam mithören kann.
»Lacey, um Himmels willen, kommen Sie rauf! Wir haben den Killer ausgemacht, er hat noch jemanden bei sich, oben im alten Kontrollraum. Passen Sie höllisch auf, wo Sie rauskommen. Ich will Sie nicht in unserer Schußlinie haben!«
»Herr im Himmel!« Sam richtet den Laser auf John Hancock. »Hör gut zu, mein Lieber du kennst dich hier unten aus. Du wirst uns hübsch brav den nächsten Ausstieg zeigen, oder ich brenne dir den Dreck von deinem Fell!«
»Jawohl, Sir!« John salutiert mechanisch, dabei mit solcher Präzision, daß man den ehemaligen Soldaten erkennt. Ein Deserteur also, vielleicht auch eine Entlassung wegen Geisteskrankheit aus der einen oder anderen Flotte, kein Zweifel. »Wird gemacht!« Er wendet sich an seine Kumpane. »Ihr schafft das Manna nach Haus, aber ihr trinkt keinen Tropfen mehr, bis ich zurückkomme. Klar?«
Sie nicken> ohne die Laserpistolen aus den Augen zu lassen.
»Nun geht schon, tut, was der Sergeant sagt. Okay, zeig uns den Weg.«
John Hancock salutiert wieder und setzt sich in Bewegung; in einem schlurfenden Trab verschwindet er in dem Tunnel, Sam und Nunks hinterdrein. Lacey wartet noch einen Augenblick; sie möchte sichergehen, daß die beiden anderen auch wirklich die Karre mit dem kostbaren Whisky wegbringen, anstatt ihnen nachzuschleichen. Erst als sie das ratternde Gerät um die nächste Biegung gekarrt haben, folgt sie ihren Freunden. Was hätte sie darum gegeben, an Gott oder Allah oder wenigstens das Galaktische Bewußtsein zu glauben, so daß sie einen Adressaten für ein Stoßgebet um Mulligans Leben gehabt hätte. Sie erreicht Sam gerade, als John Hancock stehenbleibt und nach links deutet, wo ein weiterer Tunnel abzweigt, der in einer Spirale aufwärts zu führen scheint.
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»Sir, der führt genau zu der alten Landebahn hoch, kaum ein Kilometer von dem weißen Turm.«
»Nicht schlecht«, sagt Sam, »aber du wirst bis zum Ausgang mit uns kommen.«
John verzieht mürrisch das Gesicht, dann blickt er auf den Laser und seufzt resigniert. Wie sich herausstellt, ist es nicht mehr weit; schon nach zweihundert Metern taucht eine riesige Doppeltür auf, deren Flügel halb geöffnet schief in den Angeln hängen. Rotes Licht scheint von draußen hereinzudringen, die warme Luft über dem Rattennest erzeugt ein starkes Infrarotsignal. Als Lacey das Visier hochklappt, ist es verschwunden.
»Okay, Sergeant«, sagt Sam. »Sie können gehen.«
John Hancock legt wieder zackig die Hand an die Stirn, dann dreht er sich um und läuft davon. In seiner Eile rammt er mit der Schulter die geschwungene Tunnelwand. Lacey schaut Sam erstaunt an.
»Woher wußtest du, daß der Kerl einmal Sergeant war?«
»Er ist einfach der Typ dafür. Hast du nicht bemerkt, wie er diese Typen im Griff hat, so verrückt sie auch sind - alle drei?«
Von weit her trägt der Wind einige Geräusche herüber, durch das Heulen und Seufzen im Tunnel erkennen sie Bates' Stimme. Er spricht über ein Megaphon.
»Wir sind bereit zu verhandeln. Ich wiederhole ... wir werden verhandeln. Ich bin AI Bates, Polizeichef dieser Stadt, und ich bin ermächtigt, mit Ihnen zu verhandeln. Nennen Sie Ihre Bedingungen!«
Die Antwort können sie nicht hören. Lacey klappt das Visier wieder herunter und läuft zum Tunnelausgang.
»Kommt, Leute. Nichts wie raus hier.«
Es ist genug Platz zwischen den verklemmten Türen, um sich hindurchzuschieben. Der kühle Nachthimmel über ihnen erscheint im Sichtgerät rein schwarz, während das Rattennest ein einziges Meer von blaßrosa Licht ist. Vor ihnen, nicht einmal ein Kilometer entfernt, ragt der Turm 268
auf, ein dunkler Balken, weil sein weißer Anstrich während des Tages weit mehr Sonnenstrahlung reflektiert als die Ruinenhügel ringsum. Darum verstreut erkennt man verwischte Lichtpunkte, die die Anwesenheit von Bates' Leuten verraten. Und auf der Plattform oben am Turm muß noch ein Wesen sein, das Wärme abstrahlt; der Killer, vermutet Lacey. Sie spürt einen Stich in der Brust, als nirgendwo eine Spur von Mulligan zu erkennen ist.
»Wir sind fast schon da«, flüstert Sam. »Nunks, du bleibst ein Stück hinter uns. Du hast keinen Helm, vergiß das nicht.«
Nunks stöhnt kurz auf; er ballt wieder die Fäuste. Geduckt und im Zickzack hin und herlaufend, suchen sie sich einen Weg durch die Schuttberge, lassen sich leiten von Bates' Stimme, der erneut durch das Megaphon seinen Verhandlungswillen bekundet. Auch dieses Mal hören sie keine Antwort, auch nicht, als sie schon nahe genug sind, um die geschlossene Linie der Polizisten rings um den Turm im Infrarotlicht zu erkennen. Die Beamten haben in dem Schutt und Gerumpel notdürftig Schützenlöcher und Gräben ausgehoben. Bates' massige Gestalt ist gut zu sehen; er steht in vorderster Linie mit dem kleinen Kästchen des elektronischen Megaphons in der Hand. Während sie näherschleichen, wird aus dem unscharfen Klecks oben auf der Plattform die Gestalt eines großen, kräftigen Mannes, der sich in den Überresten des Kontrollraums verschanzt hat. Jetzt taucht er wieder auf, er schiebt etwas Großes, Schweres vor sich her. Gerade als Lacey zu Bates in die Deckung kriecht und sich neben ihn kauert, zeigt er sich noch einmal. An den Knöcheln schleppt er einen Menschen hinaus auf die Plattform.
»Ich hab' deinen Polizei-Para hier bei mir, Bulle!« Eine tiefe Stimme hallt über ihren Köpfen. »Sollten Sie irgendeine krumme Tour versuchen, dann ist er tot!«
»Ich denk' nicht dran.« Bates reckt sich ein wenig. »Ich bin 269
bevollmächtigt, mit Ihnen zu verhandeln. Wünschen Si einen Priester oder Mullah? Möchten Sie etwas essen?«
Aber der Assassine wirft den Kopf in den Nacken und lacht schrill auf, ein langes, gellendes Gelächter. Laceys Brust krampft sich zusammen, als sie erkennt, daß der Mann wahnsinnig ist.
Die Betonplattform ragt wie eine Hutkrempe über die Mauern des Turms hinaus, etwa zwei Meter breit. Sie erstreckt sich über etwa ein Drittel seines Umfangs; der Turm selbst hat einen Durchmesser von neun Meter. Mulligan kann an ihrem Rand ein paar verbogene Streben sehen, doch das ist alles, was vom Geländer übrig ist. Der Gedanke ist nicht gerade angenehm, daß sie sich hier gut fünfzig Meter über dem Boden befinden. Nachdem Tomaso aufgehört hat zu lachen, schiebt er einige große Metallkisten zum Rand der Plattform und kauert sich dahinter.
»He, da oben!« dröhnt Bates' Stimme herauf, und diesmal klingt er etwas gequält humorvoll. »Wir warten, mein Junge. Wo bleiben deine Forderungen?«
Statt einer Antwort nimmt Tomaso ein Lasergewehr und kriecht zum Rand. Mulligan wird bewußt, daß er weit mehr den gefährlichen Lichtbündeln ausgesetzt ist als der Killer, wenn es zum Schlagabtausch kommt. Er wartet, bis Tomaso sich aufs Zielen konzentriert, dann schiebt er sich Zentimeterweise bis zu der Stelle, wo die zerbrochene Tür des Kontrollraums liegt. Nun ist er notdürftig abgeschirmt. Bei dem leisen Zischen des Lasers zuckt er zusammen und dreht den Kopf. Da bemerkt er aus dem Augenwinkel eine Bewegung zwischen den Steinbrocken an der Basis des Turms.
Als er genauer hinschaut, erkennt er eine Gestalt, die herankriecht, wohl in einer Art Panzer, denn irgend etwas glitzert. Die einzig denkende Möglichkeit ist die, daß einer der Polizisten sein Leben riskiert, um ihn hier rauszuholen, und daß dieser Mann nun in schrecklicher Gefahr ist.
Noch nie in seinem Leben hat Mulligan sich so hilflos gefühlt. Weil Tomaso nicht vergessen hat, ihn zu knebeln, kann er dem Mann keine Warnung zurufen; auch bewegen kann er sich kaum. Wie soll er seinem Retter helfen? Dann fällt ihm endlich das Naheliegende ein, daß es ja keiner gesprochenen Worte bedarf, um Tomaso abzulenken. Zwar schreckt er davor zurück, ihn direkt anzugreifen, aber er hat die Möglichkeit, einiges von seiner Energie von ihm abzuziehen, wenn er sich nur trauen würde.
Über das Megaphon meldet sich Bates so versöhnlich, wie er nur kann; er verspricht medizinische Versorgung, politisches Asyl vor den H'Allevae und einen fairen Prozeß mit einer Chance zur Rehabilitierung, wenn Tomaso sich ergibt. Die einzige Antwort ist das Zischen des Lasers. Eine Weile kämpft Mulligan gegen seine Angst, dann schließt er die Augen und macht sich an die Arbeit.
Er stellt sich vor, wie er kurz nach Sonnenuntergang an einer Ecke der Plaza vor dem Rathaus steht und Chief Bates beobachtet; er drängt sich durch die Menge, die um eine Leiche versammelt ist, ein Carli, wie es scheint. Das Bild ist deutlich, es fällt ihm nicht schwer, sich zu erinnern; da kommen auch schon die Gehilfen des Gerichtsmediziners mit der Schwebetrage. Und er selbst geht jetzt hinüber; zuerst ohne bestimmte Absicht, dann zielstrebig, als er erkennt, daß er an diesem Unfall vielleicht ein paar dringend benötigte Dollars verdienen kann. Er wird Bates anbieten zu
lesen.
Daß es ein Mord ist, weiß er noch nicht. Er macht einen Schritt und prallt gegen eine Mauer. Eine Mauer aus Schmerz.