Polar City Blues (27 page)

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Authors: Katharine Kerr

BOOK: Polar City Blues
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»Oh, Donnerwetter! Mann, das ist vielleicht ein Ding. Kann ich es anfassen?«

»Von mir aus«, sagt alter Veteran, »davon wird er nicht kaputtgehen.«

Sobald Mulligan den Kristall mit der Fingerspitze berührt, kann er ein Pulsieren fühlen. Vom Zentrum geht ein Energiestrom aus, der an- und abschwillt in einem gleichbleibenden Rhythmus. Er kneift die Augen zusammen und] erkennt, daß der blaue Fleck aus winzigen Einzelteilen besteht, ein Modul, das man in den Kristall implantiert hat.

»Eines möcht' ich wetten«, sagt Mulligan, »daß Gott nämlich gesagt hat, ihr sollt das hin und wieder in die Sonne legen.«

»Klar hat er das.« Del kommt näher, um einen Blick auf das Geschenk Gottes zu werfen. »Du weißt wirklich eine ganze Menge, mein Kleiner.«

»Na ja, weißt du, ich kann ganz gut raten. Ich sag' dir noch was: Das ist kein Diamant, das ist ein Stück Glas.«

»So ein Quatsch, was redest du da. Es ist ein Diamant!<

»Glas.«

»Diamant. Gott gibt seinen Kindern doch kein Glas.«

Mulligan wünscht sich, daß sie bei dieser Schlußfolgerung bleiben würde. Ganz unschuldig wendet er sich an alter Veteran.

»Und? Was meinst du: Glas oder Diamant? Wollen wir wetten?«

»Womit willst du denn wetten, Mann.« Alter Veteran läßt die lange Schnauze vibrieren, ein unfreundliches Grinsen nach Lizzie-Art. »Aber ich sage: Diamant, genau wie Del. He, wilder Mann!

Friß nicht den ganzen Speck und komm mal her!«

Wilder Mann wischt die fettigen Finger an seinem Bart ab, dann kommt er herüber und mustert den Kristall.

»Ja«, sagt er schließlich, »jetzt, wo er es sagt, kommt es mir wie Glas vor.«

»Idiot!« Alter Veteran ist beleidigt. »Was redest du für einen Unsinn.«

»Paß auf deinen Schnabel auf, Wurmfresser!« schimpft Wilder Mann.

Alter Veteran läßt wieder die Schnauze vibrieren.

»Das kann man sehr leicht herausfinden, wißt ihr das?« Mulligan ist in der Form seines Lebens.

»Wenn man einen Diamanten fallen läßt, dann macht ihm das überhaupt nichts aus.«

»Genau! Da hat er recht.« Wilder Mann geht einen Schritt auf alter Veteran zu. »Gib mal her!«

»Kommt nicht in Frage!«

Del kreischt auf, aber es ist zu spät. Wilder Mann stürzt sich auf alter Veteran, der schlägt zurück, und der Kristall saust durch die halbe Halle, bis er auf den Boden schlägt und in tausend Stücke zerspringt.

Sofort fühlt Mulligan sich besser. Obwohl dieses Kraftfeld ihm nie bewußt gewesen war, spürt er sein Verschwinden. Es ist ein Gefühl der Erleichterung, wie man es verspürt, wenn man endlich die engen Schuhe von sich kicken kann, die man den ganzen Tag über tragen mußte. Er fühlt sich wiederhergestellt.

»Da schaut euch die Bescherung an, ihr Idioten!« heult Del. »Wenn John zurückkommt, werdet ihr was erleben!«

»Warum denn«, sagt Mulligan, »Gott hat euch hereingelegt, oder? Und die beiden hier haben es herausgefunden.«

Del legt den Kopf auf die Seite und denkt nach.

»Vielleicht hast du recht«, meint sie dann. »Aber ich werd' es ihm nicht sagen, wenn er kommt.«

»Ich werd's ihm sagen«, sagt wilder Mann, um sie zu beruhigen. »Der Weiße hier ist gar nicht so übel.«

Die drei trotten davon. Del macht sich ans Kochen, alter Veteran fegt die Splitter des Kristalls beiseite und läßt sie zwischen dem Gerumpel verschwinden. Wilder Mann kauert sich auf den Boden und starrt ins Leere, doch sieht er so angestrengt aus, daß Mulligan vermutet, daß er, zum ersten Mal seit langer Zeit, nachzudenken versucht. Mulligan

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trinkt seinen Kaffee aus, dann macht er sich an die Arbeit: Bemüht um einen möglichst gleichgültigen Gesichtsausdruck versucht er mit aller Kraft, Nunks zu erreichen.

Nunks ist nicht weniger müde als jeder andere in diesem Haus, müde genug, um noch Stunden schlafen zu können. Doch schreckt er am späten Nachmittag aus seinem Schlaf und stellt fest, daß er an Mulligan denkt. Seine Spezies kennt keine Schläfrigkeit, ist niemals schlaftrunken; ohne Übergang ist man entweder wach oder schläft. Deshalb ist es nichts Ungewöhnliches, daß er sofort hellwach ist und sich an seinen Traum erinnern kann: Mulligan, hat er geträumt, sitzt unter einer Glasglocke und versucht verzweifelt, herauszukommen; mit den Händen schlägt er gegen die Wandung, bis sie bluten.

Nunks steht auf, schüttelt sein Fell und greift nach der Bürste. Er denkt nach; sicher hat das Traumbild eine Bedeutung, aber es ist eben nur ein Symbol. Nach dem Bürsten setzt er sich in den Sessel und schickt seinen Geist auf die Reise, hinaus zum Rattennest.

Einige Minuten sitzt er ruhig da, lauscht dem ewigen Gemurmel der armen Seelen dort im Rattennest.

Weit entfernt, kaum hörbar, erkennt er die Insektenfrau, die zu schlafen scheint, wo auch immer sie jetzt ist. Mit einem Schlag zerbirst die Glasglocke anders als in der Sprache seines Traums läßt sich dieser Eindruck nicht beschreiben: Mulligans Gefängnis, die für seine Psi-Kräfte undurchdringliche Wand, ist zerstört. Kaum wagt Nunks zu atmen; er konzentriert sich mit aller Kraft und sendet ein Signal, bis er schließlich eine Antwort erhält: Mulligan ruft seinen Namen, immerzu.

Kleiner Bruder!
Freude.
Wo bist du jetzt?

Jubel, Dankbarkeit.
Tunnelsystem unter dem Rattennest. Sehr alt, erste Kolonie.

Wo ist der Tunnel?

Unter dem Rattennest. Weiß es nicht genauer.
Erleichterung. Todesangst. Erleichterung.

Wir finden dich.

Beeilt euch!!
Todesangst.
Die Verrückten haben mich gefangen. Halten den Psi-Killer für Gott, wollen
mich ihm verkaufen. Er wird mich töten!! Bald, bald.

Ich wecke Lacey, sage es ihr. Halte Kontakt, kleiner Bruder, unbedingt, aber nur schwach
der Feind!

Und schon rennt er durch den Garten, und erst jetzt fällt ihm ein, daß er es Lacey ja nicht erklären kann. Natürlich kann er Lacey und Sam wecken, aber wie soll er ihnen die Geschichte beibringen? Er stöhnt auf, beginnt wieder die Fäuste zu ballen, dann zwingt er sich zur Ruhe und eilt die Treppe hinauf.

Im Büro liegt Sam Bailey noch immer auf dem Sofa, nur mit einer roten Unterhose bekleidet, einen Arm übers Gesicht gelegt. Buddy summt vor sich hin. Er schwenkt die Sensoreneinheit zu Nunks.

»Soll ich die Programmiererin wecken?«

Nunks nickt und hofft, daß Buddy das versteht, dann packt er Sam an der Schulter und schüttelt ihn.

Mit einem Fluch und einem Fausthieb, der ins Leere geht, setzt Sam sich auf.

»Oh, Nunks«, murmelt er. »Du bist es? Was ist los?«

Genau das war das Problem. Nunks stöhnt und schwenkt verzweifelt seine Arme, während Sam ihn anstarrt, als wolle er durch bloße Willenskraft Nunks telepathische Signale verstehen .

»Darf ich einmal stören?« fragt Buddy. »Versuchst du, uns etwas über die Einheit Mulligan zu sagen?«

Nunks nickt wieder, und da kommt auch schon Lacey herein, die rasch noch ihre blütenweiße frische Bluse in die blauen Shorts steckt.

»Wenn es euch recht ist«, sagt Buddy, »könnte ich ein kleines Programm bereitstellen, das ich selbst entwickelt habe. Es könnte die Sache sehr vereinfachen. Es ist eine Art 234

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Schlüssel, der durch eine Folge von Ja-Nein-Entscheidungen und den entsprechenden Querverbindungen zu dem gewünschten Ergebnis führt.«

»Tu das, Buddy«, sagte Lacey. »Hast du schon Kaffee gemacht?«

»Meine Untereinheit für die Hausarbeit hat den Kaffee schon aufgesetzt, bevor ich dich geweckt habe.«

Der Kaffee ist in dem Augenblick fertig, als das Programm auf dem Bildschirm erscheint. Nunks staunt, wie elegant das Problem gelöst ist. Eine Liste von Ja/Nein-Fragen, die über Wenn/Dann-Verknüpfungen ans Ziel führen. >Ist die Einheit Mulligan funktionsfähig? Wenn ja, dann weiter zu Schritt 50; wenn nein, dann zu Schritt 2< - und so weiter. In wenigen Minuten hat er ihnen beigebracht, daß Mulligan lebt, gefangengehalten wird und an einem unbekannten Ort sich befindet, über den es jedoch Hinweise gibt. Und nachdem Buddy das Ganze rasch zusammengefaßt hat, liefert er sogar das richtige Stichwort, damit er ihnen klarmachen kann, daß es sich um die unterirdische Kolonie der ersten Siedler auf Hagar handeln muß.

»Karten«, sagt Buddy. »Wir brauchen einige Spezialkarten, die meines Wissens in einer Datenbank dieses Planeten gespeichert sind. Wenn ihr mich einen Augenblick entschuldigt?«

Auf dem Monitor blitzen Zahlen auf, eine Reihe von Namen - Codewörter für den Zugang zum Zentralrechner der Universität von Freehaven, gut hundert Kilometer von hier. Dann bleibt der Bildschirm einige Sekunden dunkel, bis eine Flut von Daten sich darauf ergießt. So rasch werden die Seiten auf dem Bildschirm umgeblättert, daß man nicht folgen kann; Holographien und Diagramme blitzen auf, überall dieses rätselhafte Wort
NASA,
bis sich schließlich ein Kartenausschnitt zeigt.

»Kannst du mit Mulligan Kontakt aufnehmen und ihm dieses Diagramm senden?« sagt Buddy.

»Vielleicht kann er darauf erkennen, wo er ist.«

Nunks schüttelt den Kopf und hebt die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit.

»Du kannst keine Bilder übermitteln?«

Wieder schüttelt Nunks den Kopf, immerhin erleichtert, daß die Maschine so schnell begreift. Er sendet ein Signal und erreicht sofort Mulligan, der ihn erwartet hat.

Kleiner Bruder. Beschreibe, wo du bist.

Beschreibe: runder Raum, Durchmesser achtzehn Meter. Darin: überall Trödel, Schiebetür in der
Wand aus grauem Plastbeton; neunzig Grad seitlich Tunnelöffnung. Sie machen Feuer vor dem
Tunnel, Rauch zieht hindurch, also Öffnung nach draußen.

Dieses letzte Detail stimmt Nunks hoffnungsvoll. Er gestikuliert, sucht auf der Bildschirmkarte, nimmt Buddys Programm zu Hilfe, bis er schließlich eine Stelle findet, die Mulligans Beschreibung entspricht - die Versammlungshalle aus der Zeit des ersten Gouverneurs. Die Karten erfassen einen großen Teil des Terrains, so daß Buddy die Position im Rattennest auf einen Kilometer genau bestimmen kann. Waren sie erst einmal da, dann würde die Rauchsäule den Rest besorgen -

vorausgesetzt natürlich, daß das Feuer auch brannte.

»Dann wollen wir uns nicht lange aufhalten«, sagt Lacey. »Sam, du weckst Rick, er soll hier oben auf Maria aufpassen. Ach so, du solltest dir besser etwas anziehen, Mann.«

»Zufällig hatte ich das gerade vor.« Sam trägt es mit Würde. »Okay, Buddy, das war ganz prima.

Mach so weiter, ja?«

»Ich werde mein Bestes tun, um auch weiterhin zu Ihrer Zufriedenheit zu arbeiten, aber ich möchte darauf hinweisen, daß meine Programmiererin die Maßstäbe meiner Beurteilung setzt.«

»He, du arrogante Siliciumschüssel ...«

»Das reicht Sam«, unterbricht ihn Lacey. »Zufällig hat er recht, außerdem haben wir jetzt keine Zeit, darüber zu streiten.«

Mit einem gekränkten Winseln sammelt Sam seine Klei-

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der vom Fußboden auf und verschwindet ins Bad. Buddy summt kurz, dann läßt er eine Reihe von Klicklauten hören.

»Operation abgeschlossen, Programmiererin. Ein Polizeikontingent wird euch in der Nähe des Kraters erwarten.«

»Buddy! Wie hast du das geschafft!?«

»Ich habe es mir ausgedacht, während du geschlafen hast. Ich habe mich ganz einfach in den elektronischen Dienstplan eingeschaltet und die einzelnen Einheiten bestimmten Aufgaben zugeteilt.

Eine davon war die Suche nach Mulligan, und gerade habe ich diesem Einsatz die höchste Priorität gegeben, als Notfall. Weil die Suche ohnehin geplant war, fiel es dem Einsatzleiter nicht weiter auf.

Durch meine Verbindung mit dem Polizeihauptcomputer weiß ich, daß sich soeben ein Fahrzeugkonvoi auf den Weg macht. Ich habe im Einsatzplan auch den vermutlichen Aufenthaltsort Mulligans angegeben.«

»Muy bueno, mein Schatz.« Lacey tätschelt sein Gehäuse. »Schlicht und einfach phantastisch. Okay, Nunks, wir werden dir deinen Freund ziemlich rasch herausholen.«

Zu gerne hätte Nunks jetzt sprechen können, eine sarkastische Bemerkung war einfach fällig.

Natürlich, alles das tut sie ausschließlich um seinetwillen. Er kann sich nur wundern. Die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu täuschen, ist schlechthin erstaunlich.

»Was soll das heißen, daß die Leute für die Vermißtensuche im Rattennest auf dem Weg sind?« Bates ist so wütend, daß er brüllt wie auf dem Kasernenhof. »Wer, zum Teufel, hat den Befehl gegeben?«

»Sie doch, Sir.« Sergeant Parsons weicht zurück bis zur Wand, als wäre er am liebsten mit ihr verschmolzen. »Ich meine, Sir ... es sah zumindest so aus, als hätten Sie das. Es stand im Dienstplan, ganz normal, mit Ihrem Codewort und allem, ich schwör's!«

Fast hätte Bates wieder gebrüllt, doch da fällt ihm Buddy ein. Als er sich über den Datendiebstahl bei der Staatspolizei klammheimlich lustig machte, war ihm nicht bewußt, was für ausgeklügelte Sicherungen Buddy umgangen hatte. Sich in den ganz gewöhnlichen Polizeicomputer einzuklinken, war für ihn sicher nicht schwieriger als eine Quadratwurzel zuziehen.

»Na schön, ich hab' es nicht befohlen«, sagt er, so ruhig er nur kann. »Aber es ist zu spät, um sie zurückzurufen. Das einzige, was wir tun können, ist hinterherfahren. Das heißt,
ich
werde es tun; Sie bleiben hier und schlafen erst mal. Sehen ja aus, als ob Sie gleich umkippen.«

»Ich schaff's noch ein paar Stunden, Sir.«

»Aber ganz bestimmt. Gehen Sie sofort schlafen. Ich ruf Sie dann in drei, vier Stunden.«

Bates läßt den Chefwagen stehen und nimmt einen geländegängigen Gleiter. Doppelt so schnell wie erlaubt jagt er davon, mit Blaulicht und Sirene, und steigt so hoch wie möglich auf, um die Pendler nicht zu gefährden, die nun bei Sonnenuntergang auf dem Weg zur Arbeit in der Stadt sind. Als er erst die Luftkorridore der Stadt hinter sich hat, geht er wieder tiefer und gibt Vollgas. Unter ihm wirbeln die Kompressoren eine Staubwolke wie bei einem Sandsturm auf, ein dunkler Streifen, der seiner Bahn folgt. Schließlich hört er im Intercom, vor dem Hintergrund des üblichen Stimmengewirrs, den Funkverkehr zwischen dem Anführer des Konvois zum Rattennest und den übrigen Maschinen. Er schaltet das Mikrophon ein und meldet sich.

»Sergeant Nagura? Hier ist Bates. Wo fahren Sie hin?«

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