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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (40 page)

BOOK: Polar City Blues
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Als sie eintritt, kommt ihr ein älterer Lizzie entgegen. Seine Schuppen sind schon etwas durchscheinend vom Alter, die Pfoten knorrig; langsam geht er auf sie zu.

»Dieses Holzkistchen im Fenster?« sagt Lacey. »Sind das Karo-Karten darin?«

»Es heißt Tarot-Karten. Es ist Franko.«

»Was?«

»Franko. Das ist eine Sprache von der alten Erde.«

»Nie davon gehört. Sind Sie sicher, daß das Spiel vollständig ist?«

»Ich werde sie Ihnen holen, Madam. Dann können Sie selber nachzählen.« Er lächelt, als ob er verdammt genau wüßte, daß sie nicht die leiseste Ahnung hat, wie viele Karten es sein müssen.

»Gut.« Lacey greift in die Jacke und holt das Metallkästchen hervor, das Little Joe gefunden hat; die Insektenfrau hatte darauf bestanden, daß sie es als Geschenk behielt. »Ich wette, daß sie so etwas noch nie gesehen haben. Es ist von den Enzebbelinen.«

Die gelben Lizzie-Augen leuchten gierig auf.

»Die neuentdeckte Spezies? Äh ... ich denke, wir können darüber reden. Darf ich fragen, was man damit macht?«

»Sicher. Es ist ein Musikinstrument. Jedes Paar Tasten schaltet ein bestimmtes Klangmuster an oder aus, und solange es eingeschaltet ist, kann man es durch Druck hier auf die Seiten verändern.«

Während schwebende Klänge wie von einer Äolsharfe den Raum erfüllen, beginnt der Lizzie zu lächeln. Das Handeln kann beginnen.

Obwohl Lacey ziemlich spät kommt, muß sie feststellen, daß man auch für fünfzig Cent noch einen sehr guten Platz bekommt, nur zwei Reihen vom Spielfeld neben der ersten Base-Linie beim Unterstand der Marauders. Während sie den Gang hinuntersteigt, einen Pappbecher Bier und eine 341

Soja-Wurst in den Händen, schätzt sie die Zuschauermenge auf vielleicht tausend Leute, die sich rings auf den Plastbetontribünen verteilt haben. Doch auf dem Platz neben ihr sitzt natürlich jemand, ein Typ in den besten Jahren, gekleidet wie ein Geschäftsmann, der ihr freundlich zunickt, als sie sich setzt. Dann widmet er sich seiner Wurst mit Sauerkraut. Lacey legt die Beine auf die Lehne des leeren Sitzes vor ihr und seufzt vor Wohlbehagen.

Es ist merkwürdig, daß an so einem Spielfeld auch eine heiße Nacht gleich kühler zu sein scheint, auch wenn es nur ein Semiprofi-Spiel ist. Als ob man beim Zusehen verzaubert würde, in ein Land entrückt, in dem jedes Problem ein klein bißchen kleiner ist und jede kleine Freude ein ganzes Stückchen angenehmer. Das Bier ist kalt, die Sojawurst schmeckt, und auf dem Spielfeld tummelt sich die gegnerische Mannschaft, die
Big Shots
von Kellys Bar und Restaurant im blütenweißen Dress; die Werferin schimpft mit einem der Fänger, als der Schlagmann von den Marauders zum Schlagmal trottet. Von oben flutet das gelbliche Licht der Schwebelampen, das sorgfältig abgestimmt ist, um das Sonnenlicht der guten alten Erde nachzuahmen. Das Spielfeld bedeckt Kunstrasen, dessen saftiges Grün von echtem Gras kaum zu unterscheiden ist.

Lacey wirft einen Blick auf die Anzeigetafel; das dritte Inning hat begonnen, zwei Spieler sind draußen, und für die Big Shots steht es drei zu null. Auch die Aufstellung ist auf der ziemlich ramponierten elektronischen Anzeige angegeben, und bei den Marauders findet sie den Namen Mulligan, es ist der Spieler mit der Nummer sechsundzwanzig. Beim Krachen eines Schlägers blickt sie wieder aufs Spielfeld, aber die Big Shots haben es geschafft, den Ball über die Aus-Linie zu bringen; das Inning ist vorbei. Lachend und sich übermütig rempelnd kommen die Marauders aus dem Unterstand gelaufen; sie tragen graue Hemden mit roten Streifen, dazu nach Gutdünken Jeans oder weite Shorts. Lacey seufzt noch einmal, offensichtlich hat Mulligan das Team gefunden, zu dem er paßt. Sie winkt ihm zu, als sie ihn erkennt, aber während er über das Feld läuft, dreht er ihr den Rücken zu.

Während der Werfer der Marauders sich anschickt zu werfen, steht der Schlagmann lässig da und klopft mit der Spitze des Schlägers etwas Schmutz von seinem Absatz. Aber richtiges Gras auf richtiger Erde gab es nur in der Profi-Liga, und Lacey zweifelt, daß er überhaupt je auf einem Grasplatz gespielt, geschweige denn Erde an seinem Absatz kleben hatte. Als er an das Schlagmal tritt, fällt ihr auf, daß Mulligan einige Schritte zurückgeht, ansonsten scheint es ein ganz normales Spiel zu sein. Nie hat sie ihn so angespannt gesehen, trotzdem scheint er sehr locker, während leicht er gebückt dasteht und auf den Ball wartet. Der Werfer wirft zu hoch. Der nächste Ball wird vom Schlagmann über die AusLinie geschlagen, der dritte Schlag ist genau richtig für den Shortstop. Obwohl er genug Zeit hat, stürzt sich Mulligan förmlich auf den Ball, kommt werfend wieder hoch und hat ihn schon zum ersten Baseman geschleudert, so daß er den Läufer leicht erwischen kann. Sogar aus dieser Entfernung kann Lacey erkennen, daß er lächelt, und es gibt ihr einen kleinen Stich, als ihr bewußt wird, daß sie ihn zum ersten Mal glücklich sieht.

Der nächste Schlagmann ist schnell ausgeschieden. Aber dann geht Mulligan noch einige Schritte zurück, auch der Spieler im dritten Base geht auf Abstand. Und Lacey kann sie sehr gut verstehen, als sie den nächsten Schlagmann der Big Shorts sieht: ein Riese mit Armen wie Windmühlenflügel, in dessen gewaltigen Händen sich der Schläger wie ein Kinderspielzeug ausnimmt. Die Big Shots jubeln, stampfen mit den Füßen und skandieren >Jim-my, Jim-my<. Lacey wirft ihrem Nachbarn einen Blick zu.

»Ich nähme an, das ist ihr bestes Pferd im Stall«, sagt sie.

»Ja, er ist erst achtzehn. Ich wette, er wird in der obersten Liga spielen, bevor noch die Saison zu Ende ist.«

Ein routinierter Spieler. Der verächtliche Blick, mit dem er den Werfer im Auge behält, läßt Lacey vermuten, daß es in

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wenigen Minuten fünf zu null für die Big Shots stehen wird. Der erste Wurf ist flach und zu kurz, als fürchte der Werfer, dem Schlagmann überhaupt nahe zu kommen. Zu Recht, denn beim nächsten Wurf holt der Schlagmann gelassen aus, trifft hervorragend und schleudert den Ball in die Mitte zwischen dem dritten Base und dem Shortshop. Der Baseman springt und landet wieder mit leeren Händen, aber Mulligan ist da, springt, fängt und macht einen perfekten Wurf zum zweiten Base. Der Schlagmann ist draußen, das Inning ist vorbei, und die Fans der Big Shots schweigen. Lacey stimmt in den Chor der Marauder-Fans ein, während Mulligan mit den anderen Spielern zum Unterstand trottet.

»Dieser Jack ist nicht übel, was?« sagt der Geschäftsmann. »Warten Sie mal, bis er am Schlag ist. Das kann er nämlich auch.«

»Jack?«

»Jack Mulligan, ja.«

Lacey ist wie vom Blitz getroffen: Noch nie hat sie seinen Vornamen gehört.

Das Spiel geht weiter, und ihr Nachbar hat nicht zuviel versprochen: Mulligan kann einfach alles, und mit seinem letzten Schlag ist das Spiel gewonnen. Während sich das Stadion langsam leert, bleibt Lacey auf ihrem Platz und fragt sich, ob sie wohl den Mut hat, ihren Vorsatz zu Ende zu bringen.

Endlich, als schon ein Putzroboter gegen ihr Bein stößt, steht sie auf und geht langsam die Stufen zum Haupttor hinauf.

Auf der anderen Seite des Stadions, nicht weit von der U-Bahnstation, führt ein schmaler Weg zu einer Stahltür, wo ein Grüppchen von Leuten auf die Spieler wartet. Lacey lehnt sich an den Zaun und wartet. Langsam kommen die Spieler aus der Tür, glücklich über ihren Sieg oder mürrisch wegen der Niederlage, die Haare naß vom Duschen, die Kleider am feuchten Körper klebend. Dann ein >Hallo!< aus der wartenden Menge, und man geht entweder zur U-Bahn oder zum Parkplatz. Nur Lacey steht einsam da und wartet,

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während sich die Leute allmählich verlaufen. Sie fragt sich, ob er vielleicht einen anderen Ausgang genommen hat, und verflucht sich, weil sie ihm nicht vorher gesagt hat, daß sie kommen wird.

Gerade als sie beschließt, zu gehen, bevor sie ein Wachroboter verscheucht, kommt er aus der Tür, in fast sauberen Jeans und einem Trikot, auf dessen Brust zu lesen ist: >Jetzt kommen die Marauders.< Er sieht sich um, bemerkt sie und kommt zu ihr gelaufen.

»Entschuldigung, Lacey, ich habe eben erst gemerkt, daß du hier bist.« Er lächelt ein wenig scheu, aber doch erfreut. »Ich hätte mich beeilt, wenn ich es schon früher
gelesen
hätte.«

Das macht es noch schwieriger, daß sie sich nun fragen muß, ob sie sich wirklich mit einem Mann einlassen soll, der ihre Anwesenheit durch feste Mauern hindurch spüren kann und vielleicht noch ganz andere Tricks beherrscht, aber sein Lächeln ist ansteckend. Und ohne daß es ihr bewußt wird, geht sie auf einmal dicht neben ihm.

»Sollen wir ein Bier trinken gehen?« fragt er. »Ich habe gerade fünf Dollar bekommen.«

»Gern. Wo willst du hin?« Sie sucht in ihrer Tasche, findet die Gleiterschlüssel und wirft sie ihm zu.

»Und außerdem habe ich im Gleiter eine Überraschung für dich.«

»Ja?« Er fängt die Schlüssel mechanisch auf. »Das gibt's doch gar nicht.« Erstaunt starrt er die Schlüssel an. »Du willst mich fahren lassen?«

»Sicher, wenn du magst.«

Er nickt, und ohne jede Telepathie kann sie spüren, daß er sich ungläubig und zugleich hoffnungsvoll fragt, was das wohl bedeutete.

»Steht da drüben.« Sie deutet zum Parkplatz. »Bist du hier fertig?«

»Ja, sicher. Laß uns gehen. Hast du das Spiel gesehen?«

»Klar. Weißt du was, Jack, du bist ein toller Spieler.«

»Im Ernst?« Sein Lächeln läßt ihr richtig warm ums Herz

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werden, aber da ist außerdem noch so ein verdächtiges Kribbeln auf ihrem Rücken. »Mensch, danke.«

Nebeneinander, wenn auch ohne sich zu berühren, gehen sie über den Parkplatz, auf dessen grauer Plastbetonfläche nur noch Laceys alter blauer Gleiter steht. Es ist dunkel, bis auf das Flackern des Nordlichts. Sie drückt ihren Daumen gegen das Lesefeld des Schlosses, dann steigt sie auf der Beifahrerseite ein, beugt sich hinüber und öffnet ihm die Fahrertür. Während er einsteigt, holt sie das Päckchen aus dem Handschuhkasten.

»Ist das die Überraschung?« Er ist aufgeregt und neugierig wie ein kleines Kind.

»Sicher, hier.«

In dem Augenblick, in dem er das Päckchen berührt, beginnt er zu grinsen und streicht mit seinen langen Fingern immer wieder darüber.

»O Lacey, du hättest nicht all das Geld an mich verschwenden sollen. Ich wette, daß das alte Zeug ganz schön was kostet.«

»He! Du hast es nicht mal aufgemacht.«

»Nicht nötig. Es sind die Karo-Karten, richtig?«

»Verdammt, manchmal kann man mit dir das kalte Grausen kriegen.«

Er ist plötzlich ganz feierlich; er legt das Päckchen auf die Konsole und wendet sich ihr zu.

»Hatte nicht vor, dich zu erschrecken, war wohl dumm von mir, dich beeindrucken zu wollen. Ich meine, eigentlich kann ich nicht fühlen, was in einem Päckchen ist. Es ist nur wegen dieser Karten, du verstehst?«

»Ja, ich denke schon. Aber willst du sie haben?«

»Ich habe noch nie ein Geschenk mehr gemocht. Danke, wirklich vielen Dank. Aber ich warte mit dem Auspacken, bis wir irgendwo im Licht sind, ja?«

Das bunte Flackern tanzt über sein Gesicht. Lacey kann seine Augen nicht sehen. Aber sie weiß, daß er sie anschaut, mit diesem sehnsüchtigen Blick, der kaum wagt, irgend 346

etwas zu erhoffen. Dabei fällt ihr ein, daß sie sich genau ausgedacht hat, was sie ihm sagen würde, damit er begreift, daß sie ihn liebt. Aber es ist alles wie weggeblasen.

»Wo sollen wir hingehen?« fragt er jetzt. »Willst du etwas essen? Ich habe auch Geld von der Polizei bekommen; du weißt für dieses
Lesen
draußen beim Krater.«

»Ja, ich erinnere mich. Aber wir können ja zusammenlegen, wenn du in ein Lizzie-Restaurant möchtest.«

»Aber nein, ich möchte dich einladen. Du schenkst mir diese Karten und all so was.«

»Und was ist mit deiner Miete?«

»Ach, na ja.« Er schaut aus dem Fenster, als ob ihn das bunte Leuchten interessiere. »Ich meine ...«

»Dein Vermieter hat dich eh rausgeworfen, also brauchst du dir über die Miete keine Gedanken mehr zu machen.«

»Ja, in dieser Stadt, da wird man nicht leicht zum Helden, verstehst du? Und wenn ich dem Vermieter alles gebe, was ich habe, reicht es nicht einmal für eine Woche.« Mit einem Seufzer streicht er über den Steuerknüppel. »Eine Spielerin aus unserem Team hat gesagt, ich könnte bei ihr auf der Couch schlafen; ihr Vater hat nichts dagegen, wenn es nur eine Nacht ist. Sie ist unser zweiter Baseman, deshalb will sie nicht, daß ich morgen beim Spiel müde bin. Sie wird es schwer haben, wenn ich nicht auf Draht bin.«

»Ach, du kannst doch bei mir schlafen.«

»Wirklich? O Lacey, danke. Ich meine, vielleicht brauche ich Lindas Sofa später mal. Ich will ihren Alten ja nicht gleich zu Beginn der Saison verärgern.«

»Gut, aber ich habe darüber nachgedacht: Du kannst ständig bei mir wohnen, wenn du willst.«

»Ach, Mensch!« Er fährt herum und lächelt sie an. »Daran hab' ich gar nicht gedacht - Rick ist weg, da hast du ja ein Zimmer frei.« Das Lächeln verflüchtigt sich rasch. »Aber ich kann nicht viel bezahlen.«

»Vergiß es. Ich will keine Miete von dir. Und was dieses Zimmer betrifft ...« Jetzt, wo es darauf ankäme, bringt sie

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nichts mehr heraus. »Äh ... Maria möchte es wahrscheinlich haben.«

»Himmel, dann nehme ich eben ihres. Ich bin nicht wählerisch, wenn man mich von der Straße aufliest. Ich werde auch im Garten arbeiten, oder mich sonst nützlich machen, was immer ihr wollt, du und Nunks.« .

»Ja, das hört sich nicht schlecht an.«

Dann sitzen sie schweigend da. Er starrt wieder durch die Windschutzscheibe, mit einem etwas ungläubigen Lächeln, als könnte er sein Glück nicht fassen, ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben. Und Lacey verflucht sich im stillen, weil sie völlig vergessen hat, wie man auch nur ein wenig flirtet. Dann fällt ihr ein, daß er ja ein Para ist, daß es keine Andeutungen, kokettes Augenaufschlagen oder sonst etwas braucht. Es würde genügen, einfach daran zu denken, wie sehr sie ihn mag, sich vorzustellen, wie sich seine Arme um sie anfühlen würden und seine Lippen auf den ihren. Sie denkt es und sieht, wie das Lächeln auf seinem Gesicht verschwindet, als er sich zu ihr umdreht. Seine Augen sind groß und zweifelnd, als er sich zu ihr beugt, dann zögert er wieder. Er kann es nicht glauben.

»Ich meine es wirklich, ja«, sagt sie.

Ganz zaghaft, mit diesem schönen Kinderlächeln, kommt er näher und nimmt ihr Gesicht zwischen die Hände. Als er sie küßt, beginnt sie alles ringsherum und sich selbst dazu zu vergessen.

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