Authors: Johann Wolfgang Von Goethe
| Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen! |
2600 | Das Frauenbild war gar zu schön! |
| Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen |
| Nun bald leibhaftig vor dir sehn. |
| ( Leise .) |
| Du siehst, mit diesem Trank im Leibe, |
| Bald Helenen in jedem Weibe. |
Faust, Margaret vorübergehend
.
| Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, |
| Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen? |
| Bin weder Fräulein, weder schön, |
| Kann ungeleitet nach Hause gehn. |
| ( Sie macht sich los und ab .) |
| Beim Himmel, dieses Kind ist schön! |
2610 | So etwas hab’ ich nie gesehn. |
| Sie ist so sitt- und tugendreich, |
| Und etwas schnippisch doch zugleich. |
| Der Lippe Rot, der Wange Licht, |
| Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht! |
| Wie sie die Augen niederschlägt, |
| Hat tief sich in mein Herz geprägt; |
| Wie sie kurz angebunden war, |
| Das ist nun zum Entzücken gar! |
| ( MEPHISTOPHELES tritt auf .) |
| Hör, du mußt mir die Dirne schaffen! |
| Nun, welche? |
2620 | Sie ging just vorbei. |
| Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen, |
| Der sprach sie aller Sünden frei; |
| Ich schlich mich hart am Stuhl vorbei. |
| Es ist ein gar unschuldig Ding, |
| Das eben für nichts zur Beichte ging; |
| Über die hab’ ich keine Gewalt! |
| Ist über vierzehn Jahr doch alt. |
| Du sprichst ja wie Hans Liederlich, |
| Der begehrt jede liebe Blum’ für sich, |
2630 | Und dünkelt ihm, es wär’ kein’ Ehr’ |
| Und Gunst, die nicht zu pflücken wär’; |
| Geht aber doch nicht immer an. |
| Mein Herr Magister Lobesan, |
| Lass’ Er mich mit dem Gesetz in Frieden! |
| Und das sag’ ich Ihm kurz und gut: |
| Wenn nicht das süße junge Blut |
| Heut nacht in meinen Armen ruht, |
| So sind wir um Mitternacht geschieden. |
| Bedenkt, was gehn und stehen mag! |
2640 | Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’, |
| Nur die Gelegenheit auszuspüren. |
| Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh’, |
| Brauchte den Teufel nicht dazu, |
| So ein Geschöpfchen zu verführen. |
| Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos; |
| Doch bitt’ ich, laßt’s Euch nicht verdrießen: |
| Was hilft’s, nur grade zu genießen? |
| Die Freud’ ist lange nicht so groß, |
| Als wenn Ihr erst herauf, herum, |
2650 | Durch allerlei Brimborium, |
| Das Püppchen geknetet und zugericht’t, |
| Wie’s lehret manche welsche Geschicht’. |
| Hab’ Appetit auch ohne das. |
| Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß. |
| Ich sag’ Euch: mit dem schönen Kind |
| Geht’s ein für allemal nicht geschwind. |
| Mit Sturm ist da nichts einzunehmen; |
| Wir müssen uns zur List bequemen. |
| Schaff mir etwas vom Engelsschatz! |
2660 | Führ mich an ihren Ruheplatz! |
| Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust, |
| Ein Strumpfband meiner Liebeslust! |
| Damit Ihr seht, daß ich Eurer Pein |
| Will förderlich und dienstlich sein, |
| Wollen wir keinen Augenblick verlieren, |
| Will Euch noch heut in ihr Zimmer führen. |
| Und soll sie sehn? sie haben? |
| Nein! |
| Sie wird bei einer Nachbarin sein. |
| Indessen könnt Ihr ganz allein |
2670 | An aller Hoffnung künft’ger Freuden |
| In ihrem Dunstkreis satt Euch weiden. |
| Können wir hin? |
| Es ist noch zu früh. |
| Sorg du mir für ein Geschenk für sie! |
| ( Ab .) |
| Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssieren! |
| Ich kenne manchen schönen Platz |
| Und manchen altvergrabnen Schatz; |
| Ich muß ein bißchen revidieren. |
| ( Ab .) |
Ein kleines reinliches Zimmer
.
MARGARET
(
ihre Zöpfe flechtend und aufbindend
)
.
| Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’, |
| Wer heut der Herr gewesen ist! |
2680 | Er sah gewiß recht wacker aus, |
| Und ist aus einem edlen Haus; |
| Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen |
| Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen. |
| ( Ab .) |
| ( MEPHISTOPHELES, FAUST .) |
| Herein, ganz leise, nur herein! |
FAUST
(
nach einigem Stillschweigen
)
.
| Ich bitte dich, laß mich allein! |
MEPHISTOPHELES
(
herumspürend
)
.
| Nicht jedes Mädchen hält so rein. |
| ( Ab .) |
| Willkommen, süßer Dämmerschein, |
| Der du dies Heiligtum durchwebst! |
| Ergreif mein Herz, du süße Liebespein, |
2690 | Die du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst! |
| Wie atmet rings Gefühl der Stille, |
| Der Ordnung, der Zufriedenheit! |
| In dieser Armut welche Fülle! |
| In diesem Kerker welche Seligkeit! |
| ( Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette .) |
| O nimm mich auf, der du die Vorwelt schon |
| Bei Freud’ und Schmerz im offnen Arm empfangen! |
| Wie oft, ach! hat an diesem Väterthron |
| Schon eine Schar von Kindern rings gehangen! |
| Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ, |
2700 | Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen, |
| Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt. |
| Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist |
| Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln, |
| Der mütterlich dich täglich unterweist, |
| Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt, |
| Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln. |
| O liebe Hand! so göttergleich! |
| Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich. |
| Und hier! |
| ( Er hebt einen Bettvorhang auf .) |
| Was faßt mich für ein Wonnegraus! |
2710 | Hier möcht’ ich volle Stunden säumen. |
| Natur! hier bildetest in leichten Träumen |
| Den eingebornen Engel aus! |
| Hier lag das Kind, mit warmem Leben |
| Den zarten Busen angefüllt, |
| Und hier mit heilig reinem Weben |
| Entwirkte sich das Götterbild! |
| Und du! Was hat dich hergeführt? |
| Wie innig fühl’ ich mich gerührt! |
| Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer? |
2720 | Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr. |
| Umgibt mich hier ein Zauberduft? |
| Mich drang’s, so grade zu genießen, |
| Und fühle mich in Liebestraum zerfließen! |
| Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft? |
| Und träte sie den Augenblick herein, |
| Wie würdest du für deinen Frevel büßen! |
| Der große Hans, ach wie so klein! |
| Läg’, hingeschmolzen, ihr zu Füßen. |
MEPHISTOPHELES
(
kommt
)
.
| Geschwind! ich seh’ sie unten kommen. |
2730 | Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr! |
| Hier ist ein Kästchen leidlich schwer, |
| Ich hab’s wo anders hergenommen. |
| Stellt’s hier nur immer in den Schrein, |
| Ich schwör’ Euch, ihr vergehn die Sinnen; |
| Ich tat Euch Sächelchen hinein, |
| Um eine andre zu gewinnen. |
| Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel. |
| Ich weiß nicht, soll ich? |
| Fragt Ihr viel? |
| Meint Ihr vielleicht den Schatz zu wahren? |
2740 | Dann rat’ ich Eurer Lüsternheit, |
| Die liebe schöne Tageszeit |
| Und mir die weitre Müh’ zu sparen. |
| Ich hoff’ nicht, daß Ihr geizig seid! |
| Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen— |
| ( Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu .) |
| Nur fort! geschwind!—, |
| Um Euch das süße junge Kind |
| Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden; |
| Und Ihr seht drein, |
| Als solltet Ihr in den Hörsaal hinein, |
2750 | Als stünden grau leibhaftig vor Euch da |
| Physik und Metaphysika! |
| Nur fort! |
| ( Ab .) |
MARGARET
(
mit einer Lampe
)
.
| Es ist so schwül, so dumpfig hie, |
| ( Sie macht das Fenster auf .) |
| Und ist doch eben so warm nicht drauß. |
| Es wird mir so, ich weiß nicht wie— |
| Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus. |
| Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib— |
| Bin doch ein töricht furchtsam Weib! |
| ( Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht .) |
| Es war ein König in Thule |
2760 | Gar treu bis an das Grab, |
| Dem sterbend seine Buhle |
| Einen goldnen Becher gab. |