Faust (49 page)

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Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

BOOK: Faust
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2920
So hört die traurige Geschicht’!

MARGARET.

 
Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,
 
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

MEPHISTOPHELES.

 
Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.

MARTHE.

 
Erzählt mir seines Lebens Schluß!

MEPHISTOPHELES.

 
Er liegt in Padua begraben
 
Beim heiligen Antonius,
 
An einer wohlgeweihten Stätte
 
Zum ewig kühlen Ruhebette.

MARTHE.

 
Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?

MEPHISTOPHELES.

2930
Ja, eine Bitte, groß und schwer;
 
Lass’ Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!
 
Im übrigen sind meine Taschen leer.

MARTHE.

 
Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
 
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
 
Zum Angedenken aufbewahrt,
 
Und lieber hungert, lieber bettelt!

MEPHISTOPHELES.

 
Madam, es tut mir herzlich leid;
 
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
 
Auch er bereute seine Fehler sehr,
2940
Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.

MARGARET.

 
Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
 
Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.

MEPHISTOPHELES.

 
Ihr wäret wert, gleich in die Eh’ zu treten:
 
Ihr seid ein liebenswürdig Kind.

MARGARET.

 
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.

MEPHISTOPHELES.

 
Ist’s nicht ein Mann, sei’s derweil ein Galan.
 
’s ist eine der größten Himmelsgaben,
 
So ein lieb Ding im Arm zu haben.

MARGARET.

 
Das ist des Landes nicht der Brauch.

MEPHISTOPHELES.

2950
Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.

MARTHE.

 
Erzählt mir doch!

MEPHISTOPHELES.

 
                                   Ich stand an seinem Sterbebette,
 
Es war was besser als von Mist,
 
Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
 
Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
 
„Wie“, rief er, „muß ich mich von Grund aus hassen,
 
So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
 
Ach, die Erinnrung tötet mich.
 
Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben!“

MARTHE
(
weinend
)
.

 
Der gute Mann! ich hab’ ihm längst vergeben.

MEPHISTOPHELES.

2960
„Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.“

MARTHE.

 
Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!

MEPHISTOPHELES.

 
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
 
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
 
„Ich hatte“, sprach er „nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
 
Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
 
Und Brot im allerweitsten Sinn,
 
Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen.“

MARTHE.

 
Hat er so aller Treu’, so aller Lieb’ vergessen,
 
Der Plackerei bei Tag und Nacht!

MEPHISTOPHELES.

2970
Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.
 
Er sprach: „Als ich nun weg von Malta ging,
 
Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
 
Uns war denn auch der Himmel günstig,
 
Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,
 
Das einen Schatz des großen Sultans führte.
 
Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
 
Und ich empfing denn auch, wie sich gebührte,
 
Mein wohlgemeßnes Teil davon.“

MARTHE.

 
Ei wie? Ei wo? Hat er’s vielleicht vergraben?

MEPHISTOPHELES.

2980
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
 
Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
 
Als er in Napel fremd umherspazierte;
 
Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s getan,
 
Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.

MARTHE.

 
Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
 
Auch alles Elend, alle Not
 
Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!

MEPHISTOPHELES.

 
Ja seht! dafür ist er nun tot.
 
Wär’ ich nun jetzt an Eurem Platze,
2990
Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
 
Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.

MARTHE.

 
Ach Gott! wie doch mein erster war,
 
Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
 
Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.
 
Er liebte nur das allzuviele Wandern;
 
Und fremde Weiber, und fremden Wein,
 
Und das verfluchte Würfelspiel.

MEPHISTOPHELES.

 
Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
 
Wenn er Euch ungefähr so viel
3000
Von seiner Seite nachgesehen.
 
Ich schwör’ Euch zu, mit dem Beding
 
Wechselt’ ich selbst mit Euch den Ring!

MARTHE.

 
O es beliebt dem Herrn, zu scherzen!

MEPHISTOPHELES
(
für sich
)
.

 
Nun mach’ ich mich beizeiten fort!
 
Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.
 
        (
Zu
GRETECHEN
.)
 
Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

MARGARET.

 
Was meint der Herr damit?

MEPHISTOPHELES
(
für sich
)
.

 
                                                  Du gut’s, unschuldig’s Kind!
 
        (
Laut
.)
 
Lebt wohl, ihr Fraun!

MARGARET.

 
                                   Lebt wohl!

MARTHE.

 
                                                  O sagt mir doch geschwind!
 
Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
3010
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
 
Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
 
Möcht’ ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.

MEPHISTOPHELES.

 
Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
 
Wird allerwegs die Wahrheit kund;
 
Habe noch gar einen feinen Gesellen,
 
Den will ich Euch vor den Richter stellen.
 
Ich bring’ ihn her.

MARTHE.

 
                                   O tut das ja!

MEPHISTOPHELES.

 
Und hier die Jungfrau ist auch da?—
 
Ein braver Knab’! ist viel gereist,
3020
Fräuleins alle Höflichkeit erweist.

MARGARET.

 
Müßte vor dem Herren schamrot werden.

MEPHISTOPHELES.

 
Vor keinem Könige der Erden.

MARTHE.

 
Da hinterm Haus in meinem Garten
 
Wollen wir der Herrn heut’ abend warten.
STRASSE

Faust, Mephistopheles
.

FAUST.

 
Wie ist’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?

MEPHISTOPHELES.

 
Ah bravo! Find’ ich Euch in Feuer?
 
In Kurzer Zeit ist Gretchen Euer.
 
Heut’ abend sollt Ihr sie bei Nachbar’ Marthen sehn:
 
Das ist ein Weib wie auserlesen
3030
Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!

FAUST.

 
So recht!

MEPHISTOPHELES.

 
Doch wird auch was von uns begehrt.

FAUST.

 
Ein Dienst ist wohl des andern wert.

MEPHISTOPHELES.

 
Wir legen nur ein gültig Zeugnis nieder,
 
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
 
In Padua an heil’ger Stätte ruhn.

FAUST.

 
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!

MEPHISTOPHELES.

 
Sancta Simplicitas! darum ist’s nicht zu tun;
 
Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.

FAUST.

 
Wenn Er nichts Bessers hat, so ist der Plan zerrissen.

MEPHISTOPHELES.

3040
O heil’ger Mann! Da wärt Ihr’s nun!
 
Ist es das erstemal in Eurem Leben,
 
Daß Ihr falsch Zeugnis abgelegt?
 
Habt Ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt,
 
Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
 
Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
 
Mit frecher Stirne, kühner Brust?
 
Und wollt Ihr recht ins Innre gehen,
 
Habt Ihr davon, Ihr müßt es grad’ gestehen,
 
So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewußt!

FAUST.

3050
Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.

MEPHISTOPHELES.

 
Ja, wenn man’s nicht ein bißchen tiefer wüßte.
 
Denn morgen wirst, in allen Ehren,
 
Das arme Gretchen nicht betören
 
Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?

FAUST.

 
Und zwar von Herzen.

MEPHISTOPHELES.

 
                                   Gut und schön!
 
Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
 
Von einzig überallmächt’gem Triebe—
 
Wird das auch so von Herzen gehn?

FAUST.

 
Laß das! Es wird!—Wenn ich empfinde,
3060
Für das Gefühl, für das Gewühl
 
Nach Namen suche, keinen finde,
 
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
 
Nach allen höchsten Worten greife,
 
Und diese Glut, von der ich brenne,
 
Unendlich, ewig, ewig nenne,
 
Ist das ein teuflisch Lügenspiel?

MEPHISTOPHELES.

 
Ich hab’ doch recht!

FAUST.

 
                                   Hör! merk dir dies—
 
Ich bitte dich, und schone meine Lunge—:
 
Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge,
3070
Behält’s gewiß.
 
Und komm, ich hab’ des Schwätzens Überdruß,
 
Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß.

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