2920
| So hört die traurige Geschicht’!
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MARGARET.
| Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,
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| Würde mich Verlust zu Tode betrüben.
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MEPHISTOPHELES.
| Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.
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MARTHE.
| Erzählt mir seines Lebens Schluß!
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MEPHISTOPHELES.
| Er liegt in Padua begraben
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| Beim heiligen Antonius,
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| An einer wohlgeweihten Stätte
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| Zum ewig kühlen Ruhebette.
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MARTHE.
| Habt Ihr sonst nichts an mich zu bringen?
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MEPHISTOPHELES.
2930
| Ja, eine Bitte, groß und schwer;
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| Lass’ Sie doch ja für ihn dreihundert Messen singen!
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| Im übrigen sind meine Taschen leer.
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MARTHE.
| Was! nicht ein Schaustück? Kein Geschmeid’?
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| Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,
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| Zum Angedenken aufbewahrt,
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| Und lieber hungert, lieber bettelt!
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MEPHISTOPHELES.
| Madam, es tut mir herzlich leid;
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| Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
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| Auch er bereute seine Fehler sehr,
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2940
| Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.
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MARGARET.
| Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
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| Gewiß, ich will für ihn manch Requiem noch beten.
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MEPHISTOPHELES.
| Ihr wäret wert, gleich in die Eh’ zu treten:
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| Ihr seid ein liebenswürdig Kind.
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MARGARET.
| Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
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MEPHISTOPHELES.
| Ist’s nicht ein Mann, sei’s derweil ein Galan.
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| ’s ist eine der größten Himmelsgaben,
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| So ein lieb Ding im Arm zu haben.
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MARGARET.
| Das ist des Landes nicht der Brauch.
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MEPHISTOPHELES.
2950
| Brauch oder nicht! Es gibt sich auch.
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MARTHE.
MEPHISTOPHELES.
| Ich stand an seinem Sterbebette,
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| Es war was besser als von Mist,
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| Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
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| Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.
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| „Wie“, rief er, „muß ich mich von Grund aus hassen,
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| So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
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| Ach, die Erinnrung tötet mich.
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| Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben!“
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MARTHE
(
weinend
)
.
| Der gute Mann! ich hab’ ihm längst vergeben.
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MEPHISTOPHELES.
2960
| „Allein, weiß Gott! sie war mehr schuld als ich.“
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MARTHE.
| Das lügt er! Was! am Rand des Grabs zu lügen!
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MEPHISTOPHELES.
| Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
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| Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
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| „Ich hatte“, sprach er „nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,
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| Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,
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| Und Brot im allerweitsten Sinn,
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| Und konnte nicht einmal mein Teil in Frieden essen.“
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MARTHE.
| Hat er so aller Treu’, so aller Lieb’ vergessen,
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| Der Plackerei bei Tag und Nacht!
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MEPHISTOPHELES.
2970
| Nicht doch, er hat Euch herzlich dran gedacht.
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| Er sprach: „Als ich nun weg von Malta ging,
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| Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
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| Uns war denn auch der Himmel günstig,
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| Daß unser Schiff ein türkisch Fahrzeug fing,
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| Das einen Schatz des großen Sultans führte.
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| Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,
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| Und ich empfing denn auch, wie sich gebührte,
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| Mein wohlgemeßnes Teil davon.“
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MARTHE.
| Ei wie? Ei wo? Hat er’s vielleicht vergraben?
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MEPHISTOPHELES.
2980
| Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.
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| Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
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| Als er in Napel fremd umherspazierte;
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| Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s getan,
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| Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.
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MARTHE.
| Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!
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| Auch alles Elend, alle Not
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| Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!
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MEPHISTOPHELES.
| Ja seht! dafür ist er nun tot.
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| Wär’ ich nun jetzt an Eurem Platze,
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2990
| Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,
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| Visierte dann unterweil nach einem neuen Schatze.
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MARTHE.
| Ach Gott! wie doch mein erster war,
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| Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!
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| Es konnte kaum ein herziger Närrchen sein.
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| Er liebte nur das allzuviele Wandern;
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| Und fremde Weiber, und fremden Wein,
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| Und das verfluchte Würfelspiel.
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MEPHISTOPHELES.
| Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
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| Wenn er Euch ungefähr so viel
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3000
| Von seiner Seite nachgesehen.
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| Ich schwör’ Euch zu, mit dem Beding
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| Wechselt’ ich selbst mit Euch den Ring!
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MARTHE.
| O es beliebt dem Herrn, zu scherzen!
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MEPHISTOPHELES
(
für sich
)
.
| Nun mach’ ich mich beizeiten fort!
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| Die hielte wohl den Teufel selbst beim Wort.
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| ( Zu GRETECHEN .)
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| Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?
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MARGARET.
| Was meint der Herr damit?
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MEPHISTOPHELES
(
für sich
)
.
| Du gut’s, unschuldig’s Kind!
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| ( Laut .)
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| Lebt wohl, ihr Fraun!
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MARGARET.
MARTHE.
| O sagt mir doch geschwind!
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| Ich möchte gern ein Zeugnis haben,
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3010
| Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.
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| Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
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| Möcht’ ihn auch tot im Wochenblättchen lesen.
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MEPHISTOPHELES.
| Ja, gute Frau, durch zweier Zeugen Mund
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| Wird allerwegs die Wahrheit kund;
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| Habe noch gar einen feinen Gesellen,
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| Den will ich Euch vor den Richter stellen.
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| Ich bring’ ihn her.
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MARTHE.
MEPHISTOPHELES.
| Und hier die Jungfrau ist auch da?—
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| Ein braver Knab’! ist viel gereist,
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3020
| Fräuleins alle Höflichkeit erweist.
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MARGARET.
| Müßte vor dem Herren schamrot werden.
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MEPHISTOPHELES.
| Vor keinem Könige der Erden.
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MARTHE.
| Da hinterm Haus in meinem Garten
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| Wollen wir der Herrn heut’ abend warten.
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STRASSE
Faust, Mephistopheles
.
FAUST.
| Wie ist’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?
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MEPHISTOPHELES.
| Ah bravo! Find’ ich Euch in Feuer?
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| In Kurzer Zeit ist Gretchen Euer.
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| Heut’ abend sollt Ihr sie bei Nachbar’ Marthen sehn:
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| Das ist ein Weib wie auserlesen
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3030
| Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Doch wird auch was von uns begehrt.
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FAUST.
| Ein Dienst ist wohl des andern wert.
|
MEPHISTOPHELES.
| Wir legen nur ein gültig Zeugnis nieder,
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| Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder
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| In Padua an heil’ger Stätte ruhn.
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FAUST.
| Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!
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MEPHISTOPHELES.
| Sancta Simplicitas! darum ist’s nicht zu tun;
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| Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.
|
FAUST.
| Wenn Er nichts Bessers hat, so ist der Plan zerrissen.
|
MEPHISTOPHELES.
3040
| O heil’ger Mann! Da wärt Ihr’s nun!
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| Ist es das erstemal in Eurem Leben,
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| Daß Ihr falsch Zeugnis abgelegt?
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| Habt Ihr von Gott, der Welt und was sich drin bewegt,
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| Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,
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| Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?
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| Mit frecher Stirne, kühner Brust?
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| Und wollt Ihr recht ins Innre gehen,
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| Habt Ihr davon, Ihr müßt es grad’ gestehen,
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| So viel als von Herrn Schwerdtleins Tod gewußt!
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FAUST.
3050
| Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.
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MEPHISTOPHELES.
| Ja, wenn man’s nicht ein bißchen tiefer wüßte.
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| Denn morgen wirst, in allen Ehren,
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| Das arme Gretchen nicht betören
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| Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Gut und schön!
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| Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
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| Von einzig überallmächt’gem Triebe—
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| Wird das auch so von Herzen gehn?
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FAUST.
| Laß das! Es wird!—Wenn ich empfinde,
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3060
| Für das Gefühl, für das Gewühl
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| Nach Namen suche, keinen finde,
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| Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
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| Nach allen höchsten Worten greife,
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| Und diese Glut, von der ich brenne,
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| Unendlich, ewig, ewig nenne,
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| Ist das ein teuflisch Lügenspiel?
|
MEPHISTOPHELES.
FAUST.
| Hör! merk dir dies—
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| Ich bitte dich, und schone meine Lunge—:
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| Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge,
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3070
| Behält’s gewiß.
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| Und komm, ich hab’ des Schwätzens Überdruß,
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| Denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß.
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