Faust (42 page)

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Authors: Johann Wolfgang Von Goethe

BOOK: Faust
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SCHÜLER.

 
Ich bin allhier erst kurze Zeit,
 
Und komme voll Ergebenheit,
1870
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
 
Den alle mir mit Ehrfurcht nennen.

MEPHISTOPHELES.

 
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
 
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
 
Habt Ihr Euch sonst schon umgetan?

SCHÜLER.

 
Ich bitt’ Euch, nehmt Euch meiner an!
 
Ich komme mit allem guten Mut,
 
Leidlichem Geld und frischem Blut;
 
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
 
Möchte gern was Rechts hieraußen lernen.

MEPHISTOPHELES.

1880
Da seid Ihr eben recht am Ort.

SCHÜLER.

 
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
 
In diesen Mauern, diesen Hallen
 
Will es mir keineswegs gefallen.
 
Es ist ein gar beschränkter Raum,
 
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
 
Und in den Sälen auf den Bänken
 
Vergeht mir Hören, Sehn und Denken.

MEPHISTOPHELES.

 
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
 
So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890
Nicht gleich im Anfang willig an,
 
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
 
So wird’s Euch an der Weisheit Brüsten
 
Mit jedem Tage mehr gelüsten.

SCHÜLER.

 
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
 
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?

MEPHISTOPHELES.

 
Erklärt Euch, eh’ Ihr weiter geht,
 
Was wählt Ihr für eine Fakultät?

SCHÜLER.

 
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
 
Und möchte gern, was auf der Erden
1900
Und in dem Himmel ist, erfassen,
 
Die Wissenschaft und die Natur.

MEPHISTOPHELES.

 
Da seid Ihr auf der rechten Spur;
 
Doch müßt Ihr Euch nicht zerstreuen lassen.

SCHÜLER.

 
Ich bin dabei mit Seel’ und Leib;
 
Doch freilich würde mir behagen
 
Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
 
An schönen Sommerfeiertagen.

MEPHISTOPHELES.

 
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
 
Doch Ordnung lehrt Euch Zeit gewinnen.
1910
Mein teurer Freund, ich rat’ Euch drum
 
Zuerst Collegium Logicum.
 
Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
 
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
 
Daß er bedächtiger so fortan
 
Hinschleiche die Gedankenbahn,
 
Und nicht etwa, die Kreuz und Quer,
 
Irrlichteliere hin und her.
 
Dann lehret man Euch manchen Tag,
 
Daß, was Ihr sonst auf einen Schlag
1920
Getrieben, wie Essen und Trinken frei,
 
Eins! Zwei! Drei! dazu nötig sei.
 
Zwar ist’s mit der Gedankenfabrik
 
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
 
Wo e i n Tritt tausend Fäden regt,
 
Die Schifflein herüber hinüber schießen,
 
Die Fäden ungesehen fließen,
 
E i n Schlag tausend Verbindungen schlägt:
 
Der Philosoph, der tritt herein
 
Und beweist Euch, es müßt’ so sein:
1930
Das Erst’ wär so, das Zweite so,
 
Und drum das Dritt’ und Vierte so,
 
Und wenn das Erst’ und Zweit’ nicht wär’,
 
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
 
Das preisen die Schüler aller Orten,
 
Sind aber keine Weber geworden.
 
Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
 
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
 
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
 
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940
Encheiresin naturae nennt’s die Chemie,
 
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

SCHÜLER.

 
Kann Euch nicht eben ganz verstehen.

MEPHISTOPHELES.

 
Das wird nächstens schon besser gehen,
 
Wenn Ihr lernt alles reduzieren
 
Und gehörig klassifizieren.

SCHÜLER.

 
Mir wird von alle dem so dumm,
 
Als ging’ mir ein Mühlrad im Kopf herum.

MEPHISTOPHELES.

 
Nachher, vor allen andern Sachen,
 
Müßt Ihr Euch an die Metaphysik machen!
1950
Da seht, daß Ihr tiefsinnig faßt,
 
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
 
Für was drein geht und nicht drein geht,
 
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
 
Doch vorerst dieses halbe Jahr
 
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
 
Fünf Stunden habt Ihr jeden Tag;
 
Seid drinnen mit dem Glockenschlag!
 
Habt Euch vorher wohl präpariert,
 
Paragraphos wohl einstudiert,
1960
Damit Ihr nachher besser seht,
 
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
 
Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
 
Als diktiert’ Euch der Heilig’ Geist!

SCHÜLER.

 
Das sollt Ihr mir nicht zweimal sagen!
 
Ich denke mir, wie viel es nützt;
 
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
 
Kann man getrost nach Hause tragen.

MEPHISTOPHELES.

 
Doch wählt mir eine Fakultät!

SCHÜLER.

 
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.

MEPHISTOPHELES.

1970
Ich kann es Euch so sehr nicht übel nehmen,
 
Ich weiß, wie es um diese Lehre steht.
 
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
 
Wie eine ew’ge Krankheit fort,
 
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte
 
Und rücken sacht von Ort zu Ort.
 
Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage;
 
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
 
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
 
Von dem ist leider! nie die Frage.

SCHÜLER.

1980
Mein Abscheu wird durch Euch vermehrt,
 
O glücklich der, den Ihr belehrt!
 
Fast möcht’ ich nun Theologie studieren.

MEPHISTOPHELES.

 
Ich wünschte nicht, Euch irre zu führen.
 
Was diese Wissenschaft betrifft,
 
Es ist so schwer, den falschen Weg zu meiden,
 
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
 
Und von der Arzenei ist’s kaum zu unterscheiden.
 
Am besten ist’s auch hier, wenn Ihr nur E i n e n hört,
 
Und auf des Meisters Worte schwört.
1990
Im ganzen—haltet Euch an Worte!
 
Dann geht Ihr durch die sichre Pforte
 
Zum Tempel der Gewißheit ein.

SCHÜLER.

 
Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein.

MEPHISTOPHELES.

 
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
 
Denn eben wo Begriffe fehlen,
 
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
 
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
 
Mit Worten ein System bereiten,
 
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

SCHÜLER.

 
Verzeiht, ich halt’ Euch auf mit vielen Fragen,
 
Allein ich muß Euch noch bemühn.
 
Wollt Ihr mir von der Medizin
 
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
 
Drei Jahr’ ist eine kurze Zeit,
 
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
 
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
 
Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.

MEPHISTOPHELES
(
für sich
)
.

 
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010
Muß wieder recht den Teufel spielen.
 
        
(
Laut
.)
 
Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen;
 
Ihr durchstudiert die groß’ und kleine Welt,
 
Um es am Ende gehn zu lassen,
 
Wie’s Gott gefällt.
 
Vergebens, daß Ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
 
Ein jeder lernt nur, was er lernen kann;
 
Doch der den Augenblick ergreift,
 
Das ist der rechte Mann.
 
Ihr seid noch ziemlich wohl gebaut,
2020
An Kühnheit wird’s Euch auch nicht fehlen,
 
Und wenn Ihr Euch nur selbst vertraut,
 
Vertrauen Euch die andern Seelen.
 
Besonders lernt die Weiber führen;
 
Es ist ihr ewig Weh und Ach
 
So tausendfach
 
Aus e i n e m Punkte zu kurieren,
 
Und wenn Ihr halbweg ehrbar tut,
 
Dann habt Ihr sie all’ unterm Hut.
 
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;
 
Zum Willkomm tappt Ihr dann nach allen Siebensachen,
 
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
 
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
 
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
 
Wohl um die schlanke Hüfte frei,
 
Zu sehn, wie fest geschnürt sie sei.

SCHÜLER.

 
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch, wo und wie.

MEPHISTOPHELES.

 
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,
 
Und grün des Lebens goldner Baum.

SCHÜLER.

2040
Ich schwör’ Euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.
 
Dürft’ ich Euch wohl ein andermal beschweren,
 
Von Eurer Weisheit auf den Grund zu hören?

MEPHISTOPHELES.

 
Was ich vermag, soll gern geschehn.

SCHÜLER.

 
Ich kann unmöglich wieder gehn,
 
Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen.
 
Gönn’ Eure Gunst mir dieses Zeichen!

MEPHISTOPHELES.

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