FAUST.
| Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
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| So sei es gleich um mich getan!
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| Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
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| Daß ich mir selbst gefallen mag,
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| Kannst du mich mit Genuß betrügen,
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| Das sei für mich der letzte Tag!
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| Die Wette biet’ ich!
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MEPHISTOPHELES.
FAUST.
| Werd’ ich zum Augenblicke sagen:
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1700
| Verweile doch! du bist so schön!
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| Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
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| Dann will ich gern zugrunde gehn!
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| Dann mag die Totenglocke schallen,
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| Dann bist du deines Dienstes frei,
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| Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
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| Es sei die Zeit für mich vorbei!
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MEPHISTOPHELES.
| Bedenk es wohl, wir werden’s nicht vergessen.
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FAUST.
| Dazu hast du ein volles Recht;
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| Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
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1710
| Wie ich beharre, bin ich Knecht,
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| Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.
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MEPHISTOPHELES.
| Ich werde heute gleich, beim Doktorschmaus,
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| Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
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| Nur eins!—Um Lebens oder Sterbens willen
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| Bitt’ ich mir ein paar Zeilen aus.
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FAUST.
| Auch was Geschriebnes forderst du Pedant?
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| Hast du noch keinen Mann, nicht Manneswort gekannt?
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| Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
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| Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
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1720
| Rast nicht die Welt in allen Strömen fort,
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| Und mich soll ein Versprechen halten?
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| Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
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| Wer mag sich gern davon befreien?
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| Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,
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| Kein Opfer wird ihn je gereuen!
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| Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
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| Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.
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| Das Wort erstirbt schon in der Feder,
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| Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
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1730
| Was willst du böser Geist von mir?
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| Erz, Marmor, Pergament, Papier?
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| Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
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| Ich gebe jede Wahl dir frei.
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MEPHISTOPHELES.
| Wie magst du deine Rednerei
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| Nur gleich so hitzig übertreiben?
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| Ist doch ein jedes Blättchen gut.
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| Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.
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FAUST.
| Wenn dies dir völlig G’nüge tut,
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| So mag es bei der Fratze bleiben.
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MEPHISTOPHELES.
1740
| Blut ist ein ganz besondrer Saft.
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FAUST.
| Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche!
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| Das Streben meiner ganzen Kraft
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| Ist grade das, was ich verspreche.
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| Ich habe mich zu hoch gebläht,
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| In deinen Rang gehör’ ich nur.
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| Der große Geist hat mich verschmäht,
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| Vor mir verschließt sich die Natur.
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| Des Denkens Faden ist zerrissen,
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| Mir ekelt lange vor allem Wissen.
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1750
| Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
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| Uns glühende Leidenschaften stillen!
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| In undurchdrungnen Zauberhüllen
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| Sei jedes Wunder gleich bereit!
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| Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
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| Ins Rollen der Begebenheit!
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| Da mag denn Schmerz und Genuß,
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| Gelingen und Verdruß
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| Mit einander wechseln, wie es kann;
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| Nur rastlos betätigt sich der Mann.
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MEPHISTOPHELES.
1760
| Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
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| Beliebt’s Euch, überall zu naschen,
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| Im Fliehen etwas zu erhaschen,
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| Bekomm’ Euch wohl, was Euch ergetzt.
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| Nur greift mir zu und seid nicht blöde!
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FAUST.
| Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.
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| Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
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| Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
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| Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
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| Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
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1770
| Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
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| Will ich in meinem innern Selbst genießen,
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| Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
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| Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
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| Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
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| Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.
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MEPHISTOPHELES.
| O glaube mir, der manche tausend Jahre
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| And dieser harten Speise kaut,
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| Daß von der Wiege bis zur Bahre
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| Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
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1780
| Glaub unsereinem: dieses Ganze
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| Ist nur für einen Gott gemacht!
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| Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
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| Uns hat er in die Finsternis gebracht,
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| Und euch taugt einzig Tag und Nacht.
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Das läßt sich hören!
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| Doch nur vor einem ist mir bang:
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| Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
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| Ich dächt’, Ihr ließet Euch belehren.
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| Assoziiert Euch mit einem Poeten,
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1790
| Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
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| Und alle edlen Qualitäten
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| Auf Euren Ehrenscheitel häufen,
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| Des Löwen Mut,
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| Des Hirsches Schnelligkeit,
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| Des Italieners feurig Blut,
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| Des Nordens Dau’rbarkeit.
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| Laßt ihn Euch das Geheimnis finden,
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| Großmut und Arglist zu verbinden,
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| Und Euch, mit warmen Jugendtrieben,
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1800
| Nach einem Plane zu verlieben.
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| Möchte selbst solch einen Herren kennen,
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| Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.
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FAUST.
| Was bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,
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| Der Menschheit Krone zu erringen,
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| Nach der sich alle Sinne dringen?
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MEPHISTOPHELES.
| Du bist am Ende—was du bist.
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| Setz dir Perücken auf von Millionen Locken,
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| Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
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| Du bleibst doch immer, was du bist.
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FAUST.
1810
| Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze
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| Des Menschengeists auf mich herbeigerafft,
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| Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
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| Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
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| Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
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| Bin dem Unendlichen nicht näher.
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MEPHISTOPHELES.
| Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen,
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| Wie man die Sachen eben sieht;
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| Wir müssen das gescheiter machen,
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| Eh’ uns des Lebens Freude flieht.
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1820
| Was Henker! freilich Händ’ und Füße
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| Und Kopf und H ——, die sind dein;
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| Doch alles, was ich frisch genieße,
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| Ist das drum weniger mein?
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| Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
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| Sind ihre Kräfte nicht die meine?
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| Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
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| Als hätt’ ich vierundzwanzig Beine.
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| Drum frisch! Laß alles Sinnen sein,
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| Und grad’ mit in die Welt hinein!
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1830
| Ich sag’ es dir: ein Kerl, der spekuliert,
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| Ist wie ein Tier, auf dürrer Heide
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| Von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt,
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| Und rings umher liegt schöne grüne Weide.
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FAUST.
MEPHISTOPHELES.
| Wir gehen eben fort.
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| Was ist das für ein Marterort?
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| Was heißt das für ein Leben führen,
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| Sich und die Jungens ennuyieren?
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| Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
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| Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
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1840
| Das Beste, was du wissen kannst,
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| Darfst du den Buben doch nicht sagen.
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| Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!
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FAUST.
| Mir ist’s nicht möglich, ihn zu sehn.
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MEPHISTOPHELES.
| Der arme Knabe wartet lange,
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| Der darf nicht ungetröstet gehn.
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| Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
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| Die Maske muß mir köstlich stehn.
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| ( Er kleidet sich um .)
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| Nun überlaß es meinem Witze!
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| Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
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1850
| Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!
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| ( FAUST ab .)
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MEPHISTOPHELES
(
in
FAUSTS
langem Kleide
)
.
| Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
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| Des Menschen allerhöchste Kraft,
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| Laß nur in Blend- und Zauberwerken
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| Dich von dem Lügengeist bestärken,
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| So hab’ ich dich schon unbedingt—
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| Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
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| Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
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| Und dessen übereiltes Streben
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| Der Erde Freuden überspringt.
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1860
| Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,
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| Durch flache Unbedeutenheit,
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| Er soll mir zappeln, starren, kleben,
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| Und seiner Unersättlichkeit
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| Soll Speis’ und Trank vor gier’ gen Lippen schweben;
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| Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
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| Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
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| Er müßte doch zugrunde gehn!
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| ( Ein SCHÜLER tritt auf .)
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