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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (15 page)

BOOK: Polar City Blues
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haben; so gibt es kaum einen Anhaltspunkt, an dem die Ermittlungen ansetzen können. Keine unglückliche Ehe, keine Spielschulden, keinen verhaßten Schwager und keine reiche alte Tante. Ein Killer ist naturgemäß anonym, so anonym wie das Messer in seiner todbringenden Hand.

Und jetzt soll er sich auch noch um diese andere Leiche kümmern. Eine Geschichte mit möglicherweise unabsehbaren Folgen, auch politischen. Wenn Lacey recht hat und dieser traurige Vorfall der erste Kontakt mit einer unbekannten intelligenten Spezies ist, dann wird es in Kürze in Polar City von Spionen und Medienleuten von aller Herren Planeten nur so wimmeln. Er hofft zwar, daß er die Sache so lange geheimhalten kann, bis der Mordfall abgeschlossen ist, doch bei der Geldgier der Bürger dieser Stadt kann es nicht lange dauern, bis einer seiner Leute die Information verkauft hat, lange bevor er überhaupt an eine Verhaftung denken kann. Manchmal bereut er, diesen Posten hier angenommen zu haben, obwohl er nur zu gut versteht, daß man für die Polizei in Polar City Leute von anderen Planeten rekrutiert, wo immer es möglich ist.

Carols Praxis nimmt den ganzen Keller eines Holo-Kinos am Rand des Basars ein, das vorübergehend geschlossen war, so lange, bis der Besitzer das Geld für die notwendige Dachreparatur hatte. Obwohl er den Keller nie für etwas anders als zum Lagern von Vorräten für die Snackbar benutzt hat, gibt es fließendes Wasser und Toiletten. Als bekannt geworden war, daß Carol eine Praxis für die Armen dieser Gegend aufmachen wollte, fanden sich Helfer ein, die Zwischenwände einzogen und alles herrichteten, so daß es nun eine Reihe von Untersuchungszimmern nebst einem Wartezimmer gab.

Verschiedene Religionsgemeinschaften beschafften über Spenden die medizinischen Geräte, und irgendein Schöngeist hatte es sich nicht nehmen lassen, das Wartezimmer mit einer Sammlung Holos von Naturwundern anderer Planeten zu schmücken.

Die Schwebeplattform bringt Lacey nach unten. Das Wartezimmer ist weniger voll, als sie erwartet hat. Um diese Tageszeit hat Carol gewöhnlich viel zu tun, doch heute sind es nur ein paar Strichjungen mit hellgrün gefärbtem Haar und hautengen Shorts und ein Lizzimädchen, das etwas sehr Merkwürdiges eingenommen haben muß, denn alle ihre Augenlider flattern unaufhörlich und immerzu gähnt sie und bewegt die lange Schnauze, als versuchte sie verzweifelt, einen Fremdkörper zwischen den Zähnen loszuwerden. Über dem Raum hängt ein Aroma aus Schweiß, Urin, Desinfektionsmittel und billigem Parfüm. Am Empfangsschalter an der Wand gegenüber sitzt ein Mensch, eine Frau. Sie starrt auf einen Fernseher.

»Ist Carol da?«

»Ach, Sie sind's, Lacey?« Sie blickt nie auf. »Ja, im Sprechzimmer. Sie hat versucht, Sie anzurufen.

Wissen Sie das?«

»Nein. Kann ich reingehen?«

Sie nickt, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen. Dort albert ein Paar im Abendkleid und Smoking in einem Brunnen herum, das kostbare Wasser spritzt über den unglaublich grünen Rasen.

Was für eine Verschwendung!

Carols Sprechzimmer ist genauso vollgestopft wie ihr Gleiter. Berge medizinischer Utensilien, veraltete Geräte und ein wackliger Computertisch in einer Ecke. Daneben ein paar Schaumstoffsessel.

Sie sitzt gerade am Computer, murmelt allerlei lange medizinische Wörter vor sich hin, doch ist sie ziemlich aufgeregt; sie starrt auf den Bildschirm, dann knurrt sie ärgerlich und gibt etwas Neues ein.

»Lacey! Gott sei Dank, hast du meine Nachricht bekommen?«

»Nein. Ich wollte Buddy von hier aus abfragen. Que pasa?«

»Es geht um Little Joe Walker. Er muß unbedingt ins Kran-132

kenhaus, aber er spielt verrückt. Wirklich unmöglich. Ich habe gedacht, du könntest mit ihm reden.«

»Was ist denn los mit ihm?«

»Wenn ich das wüßte. Genau das ist das Problem. Komm mit.«

Carol führt sie durch einen schmuddeligen Korridor, vorbei an rosagestrichenen Stellwänden, bis zu einer Tür, hinter der man Schreie hört. »Laßt mich raus!« Als Carol die Tür öffnet, stürmt Little Joe auf sie los. Aber weil er nichts als ein rosa Kliniknachthemd trägt, das am Rücken offen ist, ist der Versuch halbherzig und nur von kurzer Dauer.

»Lacey! Um Gottes willen«, fleht er, »du mußt Dr. Carol zur Vernunft bringen. Ich kann doch niemandem im Krankenhaus erzählen, wo ich mir das hier eingefangen habe.«

Er hebt seine rechte Hand. Als sie genauer hinschaut, erkennt sie, daß die ganze Handfläche, die Haut zwischen den Fingern und ein unregelmäßiger Streifen bis hin zum Unterarm wie von Kunststoff überzogen ist. Matt glänzender, ledriger Kunststoff, wie Vinyl. Und von der Hand geht der Geruch von verdorbenem Essig aus; es ist wie ein Echo dessen, was sie in dieser Höhle im Rattennest riechen konnte.

»Es sieht im Moment recht harmlos aus«, sagt Carol. »Aber ich hab' keine Ahnung, was als nächstes passiert. Es ist sicher eine Art Bakterium, klar, aber ich kann es weder im Perez-Katalog noch in irgendeiner Datenbank finden. An den Hautproben unter dem Mikroskop konnte man sehen, daß es alle abgestorbenen Zellen frißt, die ihm in die Quere kommen, und die lebenden mit einer Wand umgibt, die so steif wie Kork ist.«

»Wo hast du dir das geholt, Little Joe?« »Im Rattennest. Ich hab' etwas vom Grab dieses Insektenmannes angefaßt, wie Folie oder ein Stück Stoff. Ich kann doch keinem Polizisten sagen, was ich da draußen gemacht habe.« Die Angst ist zunächst ein kleines Kribbeln am Ende der 133

Wirbelsäule, breitet sich dann über Laceys ganzen Körper aus. Sie war auch in dieser Höhle, auch sie hat etwas aus der Höhle angefaßt - das geheimnisvolle Kästchen mit den fremden Schriftzeichen.

Heimlich wirft sie einen Blick auf ihre Hände: Noch ist nichts zu sehen.

»Dann denk dir eine gute Lüge aus«, schimpft Carol. »Ich habe doch schon die Rettungszentrale angerufen, die Ambulanz ist unterwegs.«

»Ambulanz?« jammert Joe.

»Mit Isolierkabine. Mensch, du hast noch immer nicht kapiert, habe ich recht? Ich weiß nicht, was das für ein Zeug ist. Es reagiert auf keinen Test, es ist in keiner Datenbank zu finden. Wie ich schon sagte, im Moment sieht es nicht so schlimm aus ...«

»Es juckt höllisch, Doc!« Es hört sich empört an, als wüßte er sein Leiden nicht ausreichend gewürdigt.

»Das ist es, was mich beunruhigt, verstehst du das? Wenn wir nicht herausfinden, wie man es stoppt, dann kann eine Epidemie daraus werden.«

»Hör zu!« Lacey zwingt sich, ganz ruhig zu sprechen, »erzähl ihnen doch, daß du nach irgendwelchem altem Kram gesucht hast. Das machen doch viele Leute. Die Antiquitätenhändler auf Sarah zahlen viel Geld für Sachen aus der alten Kolonie.«

Little Joe pfeift durch die Zähne.

»Warum hab' ich daran nicht selber gedacht?«

»Weil du vor Angst nicht mehr klar denken kannst, und das kann man gut verstehen. Übrigens, Carol ich war auch da draußen.«

»Ach tatsächlich. Ich werd' mir gleich eine Hautprobe anschauen, warte eine Minute. Aber zu dir, Joe, hör gut zu und denk nach. Ich brauch' die Namen aller Leute wirklich
alle
-, mit denen du irgendeinen körperlichen Kontakt gehabt hast, seit du da draußen warst, oder denen du etwas gegeben hast, was du angefaßt hast.«

Little Joe nickt.

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»Sag mal, Carol«, fragt Lacey, »ist diese Datenbank wirklich auf dem neuesten Stand? Und ist sie vollständig?«

»Aber ja, es war das Quäker-Hospital, wo ich mich einklinken durfte. Warum?«

»Wie groß ist die Chance, daß diese Bakterien nicht von hier stammen? Ich meine, ob es eine völlig fremde Lebensform sein könnte?«

»Eine
Chance
nennst du das? Was für eine Chance, zum Teufel, sollte das sein!!!«

Mulligan und Nunks sitzen im Garten unter einem Apfelbaum, während Maria ein wenig beiseite kauert und das Leuchten am Himmel betrachtet. Im Schatten neben der Eingangstür wacht Rick, die Laserpistole in der Hand. Mulligan kann schon an seiner selbstbewußt aufrechten Haltung sehen, daß ihm der Wachdienst weit eher liegt als das Wenden von Kompost. Mulligan hat schreckliche Angst.

Kleiner Bruder: Beruhigen.

Geht nicht. Killer sucht mich, will Kehle durchschneiden.

Rick paßt auf. Ich passe auf. Beruhigen. Nein, besser arbeiten, wir beide. Ablenkung.

Gartenarbeit?
Freude.

Keine Gartenarbeit. Geistige Arbeit.

Schmerz, Unlust, Zögern.

Kleiner Bruder!
Ärger.
Muß lernen, Talent kontrollieren. Sonst Wahnsinn.

Zu spät. Bin schon verrückt.

Größte Verärgerung.

Einlenken.

Es stellt sich heraus, daß Nunks Verbindung zu jenem Bewußtsein aufnehmen möchte, mit dem er an diesem Tag Kontakt gehabt hat. Er möchte Mulligans Gehirn als eine Art Verstärker benutzen, so reichen seine Antennen viel weiter und können dieses fremdartige Bewußtsein genauer beschreiben.

Vielleicht bringen sie sogar einen Austausch von

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Botschaften zustande, wenn dieses Wesen dazu bereit ist. Weil jedes in Telepathie geübte Wesen den Inhalt seines sprachlichen Denkens vollständig auf ein anderes von vergleichbarer geistiger Struktur übertragen kann, hält Mulligan eine Kommunikation durchaus für möglich, auch wenn es sich um eine völlig unbekannte Lebensform handelt. Natürlich muß das andere Gehirn in gewisser Weise gleichartig sein - und er kann nur hoffen, daß dem so ist. Schließlich gab es auch innerhalb des erforschten Raumsektors Spezies, die für die übrigen Intelligenzen telepathisch nicht ansprechbar waren, obwohl es auch bei ihnen Psi-Talente gab. Ihr Wahrnehmungs- und Denkapparat hatte so einzigartige Konzepte entwickelt, daß sie keinerlei Denkkategorie mit den übrigen Bewohnern des Alls gemeinsam hatten, ja, daß allein schon der Begriff >Kategorie< ihnen gänzlich unbekannt war.

Daß sie beide, Nunks und er, die Trauer dieses Wesens fühlen konnten, sprach immerhin für gewisse Gemeinsamkeiten.

Wie so oft in Psi-Angelegenheiten hat auch diesmal Nunks die Führung übernommen. Mulligan muß lediglich reglos dasitzen und Bilder und Gefühle durch seinen Geist strömen lassen. Obwohl er davor zurückschreckt, diesen abgrundtiefen Schmerz noch einmal zu spüren, stimmt er seinem Mentor zu, daß sie diesem Wesen helfen müssen, das er in Ermangelung des richtigen Namens >Insektenfrau< nennt. Denn so weit sie das beurteilen können, ist dieses Wesen weiblich, und nach Little Joes Bericht muß es sich um , eine insektenartige Spezies handeln. Zwar weiß Mulligan, wie inadäquat solche Begriffe sind, wenn man völlig neue Lebensformen beschreiben will, doch kann er nicht anders, als an ein Insektenpaar zu denken, wenn die Rede von den bedauernswerten Opfern der Verrückten im Rattennest ist. Nunks hat diese Bezeichnung übernommen.

Kleiner Bruder: Bereit?

Bereit.

Signale strömen auf sie ein, zuerst wie ein Zischen und

Rauschen; ein Hintergrund aus wirren Gedanken, verschrobenen Bildern, die aus dem Rattennest zu kommen scheinen. Groll und Haß: Mutter hat mich nie geliebt, Vater hat mich geschlagen. Die Ärzte helfen nicht, sie wollen mich mit Medikamenten kaputtmachen. Eine endlose Litanei aus Sorgen, aus Klagen über Lieblosigkeit und Einsamkeit, die sich auf ausgetretenen Pfaden immer aufs neue durch Hunderte von Gehirnen arbeitet. Nunks bleibt unbeeindruckt, als wate er durch seichtes Wasser, Mulligan an der Hand, ihn mit sich ziehend. Sie suchen eine andere, schrillere Stimme. Einmal taucht vor Mulligan ein Bild auf, prächtig bunt wie ein illuminiertes Gebäude im farbigen Licht: eine schöne Frau, hochschwanger, die in einem Rosengarten sitzt; über ihr hängt in der Luft ein Flammenschwert, und sieben goldene Becher schweben dabei, aus denen kleine Gesichter lugen zu Grimassen verzerrt.

Dann erkennt er den Geist der alten Meg wieder und weiß, daß sie vor ihren Karten sitzt.

Der Schmerz kommt wie ein Schrei, ein verzweifeltes Aufheulen, ein bitteres Aufbäumen gegen die Ungerechtigkeit des Universums, ein Ausbruch von Haß, gerichtet gegen jene, die den geliebten Gefährten getötet haben, und flammend wie das Schwert auf der Spielkarte. Mulligan greift blitzschnell diesen Gedankenstrom auf, doch überwältigt er ihn. Die Verzweiflung wird zu seiner eigenen, Tränen rinnen über sein Gesicht. Doch Nunks bleibt unbeeindruckt; er sendet seinen Wunsch zu trösten, ist jedoch vorsichtig genug, kein bestimmtes Trostwort auszusprechen. Der fremde Geist zögert, ist fast bereit zu sprechen, zieht sich dann aber zurück in die Einsamkeit. Als Mulligan laut aufschluchzt, spürt er eine Reaktion, fast ist das Wesen erschrocken, weil es nicht glauben kann, daß andere an seinem Schmerz Anteil nehmen.

Schwester,
sendet Nunks, denn das Wesen ist tatsächlich weiblich,
nicht alle hier sind Barbaren.

Schlechte Wesen, Ver-

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rückte, verwirrte Geister haben getötet. Auch freundliche, gute Wesen hier. Wir helfen. Laß uns helfen.

Der fremde Geist zögert wieder, dann läßt sie ein kalter, wütender Schwall von Bitterkeit aufstöhnen.

Freundliche Wesen?
Ungläubigkeit, Wut.
Schaut her, schaut her!

So lebendig, als schwebe er in einem Gleiter über der Szene, sieht Mulligan unter sich die Grube im Rattennest. Schwebelampen tauchen sie in blendendweißes Licht. Ringsum die Polizeigleiter, die Männer mit ihren Waffen haben einen Absperrkreis gebildet, während die Techniker an einer Leiter hinuntersteigen zum Grab.

Laßt ihn in Frieden1. Laßt ihn ruhen. O ihr meine Götter, laßt ihn doch ruhen. Warum ihn stören?

Schwester: Hör mir zu, warte und höre. Sie wollen helfen, die Mörder finden. Sie bestrafen. Dann ein
neues Grab, endlich Ruhe.

Zweifel, Zögern.

Bitte: Glaub uns!

Wut.
Sie sollen aufhören, dann glaube ich. Ich kenne die Mörder, ich sehe sie. Ich beschreibe sie. Laßt
ihn ruhen!

Obwohl Nunks seine Gefühle vor der Insektenfrau verbergen kann, spürt Mulligan, wie verzweifelt er ist. Völlig ausgeschlossen, Bates dazu zu bewegen, daß er auf die Exhuminierung und die anschließende Autopsie verzichtet. Er hält das für notwendig. Mulligan kann den Polizeichef sehen, der vor einem der Transporter auf und ab geht und das Terminal in der Hand hält. Doch mit einem Mal lauscht Bates angespannt, er wirft den Kopf zurück, das Gesicht wird fahl, er läuft hinüber zur Grube.

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