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Authors: Katharine Kerr

Polar City Blues (8 page)

BOOK: Polar City Blues
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puter und die gestapelten Kisten mit synthetischer Haut. Sie selbst kann sich auf den Beifahrersitz setzen, nachdem sie einen Stapel Krankenakten und eine Tasche mit geheimnisvollen Fläschchen weggeräumt hat.

»Warum nehmen wir Mulligan mit?« Carol kümmert sich nicht darum, ob er es hört.

»Weil ein Para uns vielleicht weiterhelfen kann. Bist du sicher, daß du mitmachen willst, Carol?

Vielleicht ist es gefährlich.«

»He, es könnte noch viel gefährlicher werden, wenn ihr beide alleine loszieht.«

Da hat sie recht, denkt Lacey, und das ist ja auch der Grund, warum sie Carol gefragt hat. Sie fühlt sich nur verpflichtet, ihrer Freundin Gelegenheit zum Rückzug zu geben, wenn sie das vorziehen sollte. Außer ihr gab es keinen Arzt in der ganzen Stadt, der sich auch nur in die Nähe des Rattennests wagte; tatsächlich fuhr Carol einmal in der Woche dorthin, um die Slumbewohner zu versorgen, die ihre Hilfe brauchten, doch hatte es Monate gedauert, bis sie ihr Vertrauen gewonnen hatte. Wenn sie so etwas wie Vertrauen überhaupt kannten, manchmal zweifelte sie daran. Außer einigen wenigen, die sich im Rattennest vor der Polizei versteckten und nichts weiter zu befürchten hatten, als dingfest gemacht zu werden, gab es eine viel größere Zahl, die in panischer Angst lebten, daß man sie zurück in die Psychiatrie brachte, um sie mit Psychopharmaka gefügig zu machen.

Es genügte, daß einer in seiner krankhaften Angst zu weit ging, schon konnte ein Messer im Rücken Carols medizinische Karriere abrupt beenden.

Carol startete den Transporter, mit einem Satz erhebt er sich in die Luft und schießt mit beängstigender Geschwindigkeit davon; scharf biegt sie um die Ecke und folgt dann der D-Straße.

Von Mulligan hinter den Sitzen hört man einen Aufschrei. Lacey dreht sich um und sieht, daß er sich die Stirn hält.

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»Alles okay?« Sie muß schreien, um den Motorenlärm zu übertönen.

»Sicher, mir ist ja bloß so eine Kiste gegen den Schädel geflogen.«

»Paß bloß auf, Mann!« kreischt Carol. »Das Zeug ist teuer!«

Mulligan schneidet hinter ihrem Rücken eine Grimasse.

Die Sonne geht jetzt auf, eine langwierige Sache auf Hagar, denn sie ist ein roter Riese, der immerhin einen Sehwinkel von fünfundvierzig Grad einnimmt. Lacey drückt auf den Schalter am Armaturenbrett, der den Polarisationsfilter für die Fenster aktiviert. Je heller draußen das Licht wird, desto mehr davon wird automatisch absorbiert. Hin- und herschlingernd flitzen sie durch Porttown und biegen dann auf die südöstlich führende Landstraße ein. Sie ist leer, bis auf den unvermeidlichen Frachtzug, der die Straße entlangröhrt und sie mit seiner Druckwelle ins Schaukeln bringt. Die meisten Gleiter funktionieren nur über einigermaßen planierten Flächen, doch Carols Transporter ist ein geländegängiges Modell, das sie dem schlechten Gewissen einiger Bürokraten der Stadtverwaltung zu verdanken hat: Man kann ihnen jetzt nicht mehr vorwerfen, sie würden nichts für die Leute im Rattennest und die Weißen im Ghetto von Porttown tun. Nach ungefähr drei Kilometern biegt Carol von der Straße ab und schlägt einen Kurs quer durch das öde Hügelland ein. •

»Wir dürfen nicht zu lange nach Sonnenuntergang ankommen«, schreit Carol durch das Brummen und Heulen des Motors, »sonst werden sie alle schlafen.«

Sie schweben an braunen Abhängen hinunter, überqueren Täler, die einmal Flußbette waren, folgen den geschwungenen Ufern längst vertrockneter Seen. Der Gleiter macht gute hundert Kilometer in der Stunde, und Lacey hängt in den Gurten und fragt sich, ob sie luftkrank wird - ein beschämendes Gefühl für eine Veteranin, die unzählige Kampfeinsätze bei Schwerelosigkeit hinter sich hat. Sie wagt 69

nicht einmal daran zu denken, wie es wohl Mulligan ergeht, der wie ein Stück Fracht hinter den Sitzen eingeklemmt ist. Weil eine Unterhaltung kaum möglich ist, beginnt Carol, vor sich hinzusingen. »Oh, oh, mein Baby, es hat doch keinen Sinn der Polar City Blues, der kriegt dich einfach hin ...« So singt sie mit ihrer heiseren Stimme, in endlosen Wiederholungen.

Irgendwann erreicht die lärmende Maschine den schmutzigbraunen Krater des Rehydrierungsprojekts, und etwas widerwillig verlangsamt Carol die Fahrt. Es ist Schichtende, und die Arbeiter trotten hinüber zu den Lastwagen einige Meter neben den unansehnlichen, schmutzigweißen Eisklumpen. Als der rote Transporter über ihre Köpfe fliegt, schauen sie auf und winken. Man kennt Carol hier draußen, denkt Lacey. Vielleicht ist es der Fahrstil. Ein Kilometer weiter sehen sie oben am Kraterrand einen kleinen Fahrzeugpulk, darunter zwei Polizeigleiter, ein Abschleppwagen und ein großer Kran. Carol verlangsamt, damit sie einen Blick auf die Szene werfen können. Am Haken des Krans hängt ein blaugrüner Gleiter mit eingedrückter Front.

»Mensch, das ist ein Botschaftsgleiter der Konföderation!« sagt Lacey.

»Vielleicht haben sie die Verletzten schon vor Stunden herausgeholt, aber ich sollte trotzdem mal nachfragen.«

»Nichts dagegen.«

Carol zwingt den schleudernden Gleiter in eine jähe Kurve und stoppt im Schatten eines großen Dornengestrüpps. Hinter den Sitzen hört man Mulligan unflätig fluchen.

»Was bist du nur für ein Jammerlappen!« Carol grinst. »Weißt du, was du brauchst? Einen vernünftigen Fitnessplan lange, flotte Spaziergänge, ein bißchen Gewichtheben, eine vegetarische Diät und kalte Duschen, so oft es nur geht. Komm mal zu mir in die Praxis, dann können wir das eingehend besprechen.«

Mulligans Kommentar ist nicht wiederzugeben.

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Lacey steigt etwas unsicher aus, dann beugt sie sich hinter die Sitze, um Mulligan herauszuhelfen.

Carol ist schon bei den Polizisten, zwei Menschen und ein Lizzie, dessen fahlgraue Haut besonders gut zu der gelbgrünen Uniform paßt. Als Mulligan mit Lacey zu ihr hinübergehen will, verkrampft er sich plötzlich, wirft den Kopf zurück und krümmt sich wie vor Schmerz.

»Was, zum Teufel ...«

»Ein Toter ... da in dem Wrack. Ich will da nicht näher ran.«

»Schon gut, warten wir hier.«

Carol kommt schon wieder zurück, sie schüttelt traurig den Kopf, als hätte sie in dem Toten ihren langjährigen Lieblingspatienten verloren.

»Nada. Kann für den armen Kerl nichts mehr tun. Ein Carli, haben sie gesagt, und er ist schon im Leichenschauhaus.«

»Und was ist mit dem anderen?« fragt Mulligan. »Es waren zwei Personen in der Maschine. Auch wenn nur einer tot ist, der andere müßte sich doch schwer verletzt haben, ganz sicher.«

»Tatsächlich?« Jetzt ist Carol sehr interessiert. Was immer sie auch von Mulligan hält - einen Fachmann, der gute Arbeit leistet, respektiert sie. »Die Polizei weiß nichts von einem zweiten Mann, du solltest es ihnen sagen.«

»Ich geh' da nicht näher ran, ich kann es nicht.«

Carol hat schon seinen Arm gepackt und hätte ihn unweigerlich hinübergeschleppt, aber der Lizzie-Polizist kommt ihnen jetzt entgegen. Eine gedrungene Masse, ein Meter achtzig groß, bewegt sich schlurfend auf sie zu. Eine plumpe, unbewegliche Spezies, doch in der Morgenhitze ist der Mann von einer fast manischen Erregtheit. Die lange Schnauze kräuselt sich, er zeigt lächelnd die Zähne und streckt Mulligan die Hand mit den blauen, sorgfältig polierten Klauen entgegen.

»He, Mulligan, du kommst wieder mal gerade richtig,

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was? Kannst du uns was sagen? Ich sorge dafür, daß du das übliche Honorar kriegst.«

»Da waren zwei Personen im Gleiter/bevor er in den Krater stürzte.« Mulligan redet sehr leise, er sieht ihn nicht an, sein Blick ist in eine unbestimmte Ferne gerichtet. »Sie waren Todfeinde. Sie haben gekämpft. Mehr kann ich von hier aus nicht erkennen, ich werde auf keinen Fall näher rangehen. Das letzte Mal, als ich für die Polizei gearbeitet habe, bin ich in der Notaufnahme wieder aufgewacht.«

»Was?« Der Polizist sieht ihn an. Er ist erstaunt. »Nun ja ... dies ist ein freies Land, nicht? Um deine Bezahlung werd' ich mich kümmern, okay? Zwei Kerle ... ich wette, das wird den Chef mächtig interessieren.«

Bates ist gerade in der Leichenhalle, als ihn Offizier Zizzistres Anruf erreichte. Er hört sich aufmerksam an, was Mulligan herausgefunden hat, und läßt Zizzistre das Ganze wiederholen, damit er es in das Terminal an seinem Gürtel einspeichern kann. Er darf auch nicht vergessen, daß der Mann für sein schnelles Schalten eine Belobigung verdient hat.

»Aber sag' mir noch eins, Izzy. Was, zum Teufel, hatte Mulligan dort draußen zu suchen?«

»Keine Ahnung, Chief. Er war mit Dr. Carol gekommen, vielleicht hat jemand im Rattennest einen Para gebraucht?« Er gestattete sich einen kleinen, zischenden Lizzie-Lacher über seinen Witz. »Ach so, da war noch diese Lacey bei ihnen.«

»Da haben wir also die Bescherung! Aber das ist nicht dein Problem. Danke, Izzy, das war gute Arbeit. Das wär's dann.«

Als er das düster graue Gebäude der Gerichtsmediziner verläßt und zu seinem Gleiter geht, ist Bates ziemlich stolz auf sich. Seine Intuition, was Gri Bonno anging, hat ihn nicht getäuscht. Der Bericht des Gerichtsmediziners ist eindeutig: Die meisten äußerlichen Verletzungen waren dem Mann beigebracht worden, als er schon tot war. Kein Gericht

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konnte anders befinden, als daß er schon
vor
dem Absturz tot gewesen war. Und wer immer ihn getötet hat, ist ein lausiger Amateur, der keine Ahnung hat, wie man einen Unfall vortäuscht. Dafür spricht auch Mulligans Hinweis auf einen Kampf zwischen den beiden Insassen des Gleiters. Aber blitzartig kommt es Bates in den Sinn, ob es nicht doch einen Zusammenhang zwischen den beiden Morgen gibt. Der Mörder Ka Grens war sicher kein Amateur. Auf der anderen Seite ist aber die Wahrscheinlichkeit, daß in einer einzigen Nacht zwei Angehörige der gleichen Botschaft ganz zufällig ermordet werden, schrecklich gering. Zwei Mörder - eine Verbindung zwischen beiden Taten scheint ihm ziemlich sicher.

Bates klettert in seinen Gleiter und tippt die Koordinaten für die Botschaft der Konförderation. Es wird Zeit, daß er zu Ka Pral geht und ihm die allerneueste schlechte Nachricht überbringt.

Die Große Psi-Mutation, wie sie genannt wird, hatte sich rund zweihundert Jahre zuvor ereignet, in einem Land der guten alten Erde, das Kalifornien hieß. Zwar hatte es immer schon Menschen gegeben, die die - rezessiven - Gene für sogenannte übernatürliche Fähigkeiten in sich trugen, und wenn zwei von ihnen ein Paar wurden, dann konnte eines ihrer Kinder ein mehr oder weniger ausgeprägtes Psi-Talent entwickeln. Doch hatten diese Menschen es meist recht schwer: Die eine oder andere gerade dominierende Religion verfolgte und unterdrückte sie, und selbst in aufgeklärteren Zeiten gab es von Seiten der Wissenschaft nur Spott und Hohn. Auch jene, die der Verfolgung und Ächtung entgin-73

gen, hatten kaum Gelegenheit, ihre Begabung voll zu entwickeln. Sie waren Sonderlinge, lebten zu weit entfernt von ihresgleichen und mußten ihr Talent verbergen. Keine Frage, daß es so keinen Austausch von Wissen gab und keine Möglichkeit, dieses Talent weiterzuentwickeln und nutzbar zu machen.

Gegen Ende jenes Jahrhunderts, das man in der alten Zeitrechnung das >Zwanzigste< nannte, war jenes Kalifornien ein dichtbesiedeltes Land, in das Einwanderer aus buchstäblich jeder Ecke des Planeten geströmt waren. Sicher war es nicht verwunderlich, daß sich bei solcher genetischer Vielfalt viel häufiger jene seltenen rezessiven Gene paaren konnten, bis tatsächlich um die Mitte dieses 21.

Jahrhunderts ein beachtlicher Teil der Bevölkerung über Psi-Fähigkeiten verfügte. Und weil dieses Kalifornien einer der tolerantesten Staaten überhaupt in der Geschichte war, brauchten sich diese Paras nicht zu verbergen; sie konnten in aller Öffentlichkeit ihr Talent beweisen, sich treffen und austauschen, und schließlich ernsthafte Forschung an diesem so lange vernachlässigten menschlichen Potential treiben. Natürlich gab es viele Betrüger und Menschen, die sich selbst etwas vormachten, doch hielten sich die echten Talente von ihnen fern; sie schätzten dagegen den engen Kontakt untereinander und siedelten sich bevorzugt im nördlichen Kalifornien an, hauptsächlich bei einem Berg mit dem Namen Shasta und in der Stadt San Francisco.

Als die Lage auf der alten Erde während des 21. Jahrhunderts immer unerträglicher wurde, hörte man aus den Reihen dieser Paras immer wieder Warnungen vor einer drohenden Katastrophe, lange bevor der Lebensraum Erde endgültig zerstört war. Nach dem ersten Zusammentreffen mit außerirdischen Intelligenzen, nachdem die junge Menschheit von den uralten Zivilisationen im benachbarten Weltraum in die Geheimnisse der interstellaren Raumfahrt eingeweiht worden war, bewarben sich ganze Gemeinschaften von Paras um die Erlaubnis zum Auswandern. Und als die
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Katastrophe kam, waren sie auf einem der Planeten der von Menschen dominierten
Republik
in Sicherheit. Dort war man froh über jeden Einwanderer und empfing sie mit offenen Armen, auch jene, die von der Allianz und der Konföderation, wo Außerirdische das Sagen hatten, abgewiesen worden waren. Gewöhnliche Menschen machten meist einen Bogen um die Psi-Begabten, so daß sie unter sich heirateten, besonders in der ersten Zeit, und ihr Talent an die Kinder weitergeben konnten. Natürlich haben nicht alle Psi-Begabten auch Eltern mit solchen Fähigkeiten. Das galt auch für Mulligans Eltern, und auch bei seinen vier Brüdern fand sich nicht die Spur eines Psi-Talents. Er hatte eben die rezessiven Gene auf die schlichte altmodische Art mitbekommen. Es gab jedoch nicht den geringsten Zweifel, daß Mulligans Talent einzigartig war. Auch in der qualvollen Enge hinter den Sitzen des Transporters, während er sich zwingen muß, seinen durchgeschüttelten Magen vor dem Schlimmsten zurückzuhalten, empfängt er Psi-Signale. Es ist eine Menge, was auf ihn einströmt: undeutliche Bilder, Gefühle, Wortfetzen und ganze Sätze - das, was er als >Hintergrundrauschen< bezeichnet. Und manchmal ist es sogar ein überdeutliches Bild oder ein so starkes Gefühl, daß es sich wie ein Alp auf seine Seele legt: Angst und Entsetzen. Und obwohl er wünscht, niemals hierhergekommen zu sein, weiß er genau, daß er Lacey nicht allein hätte gehen lassen. Und selbst wenn Carol ihn für nutzlos hält

- er möchte dabei sein, um nach Kräften helfen zu können, anstatt sich irgendwo zu verkriechen. Doch trotz seiner Entschlossenheit ist die Furcht allgegenwärtig, so stark, daß er sich schließlich einredet, es wäre die auf ihn übertragene Furcht eines anderen Paras und nicht seine eigene. Er konzentriert sich und empfängt ein starkes, aber undeutliches Signal - ein Geist, der aus zwei Ichs zu bestehen scheint; vielleicht auch zwei Wesen, die sehr eng verbunden sind ... Er kann erkennen, daß eines von ihnen sehr hungrig ist. Da macht der Gleiter einen Schlenker und bäumt sich leicht auf, er verliert den Kontakt.

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